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Big Showtime für Aids

Die Privatinitiative „Big Spender“ sammelt Geld für Aids-Projekte. Zum Auftakt der „Big Spender“- Benefiz-Wochen tanzte sich die Szene im Metropol derweil schon mal warm  ■ Von Thorsten Schmitz

Achthundert Männer und vielleicht acht Frauen üben den Techno-Tritt am Golfstrom im Schöneberger Metropol. Der Golfstrom führt besonders warmes Wasser – und so kam irgendwer irgendwann auf die Idee, das Schöneberger Schwulenmekka links und rechts der Motzstraße so zu taufen.

Es ist noch lange nicht Mitternacht, und auf dem von Laserpfeilen zerschnittenen Tanzparkett gibt's die erste Rush-hour. Aus den Lautsprechern ertönt eine höhenarme Endlosschleife von House- Musik, jedes Baßwummern begrüßen die Tänzer und die acht mitgeschleppten Busenfreundinnen ekstatisch-verzückt mit Jubelschreien. Wo Schwule sind, wird ohne die andernorts bekannte Phase des Mutantrinkens getanzt. Und Körperkult inszeniert, sowieso.

Mit ihren Apfelpopos heischen die Schwulen zwischen 20 und 40 Jahren nach lüsternen Blicken, und zum Schottenmikromini paßt ein blanker Fadenkreuz-Brustkorb eh am besten. Den Transvestiten auf ihren Stilettoabsätzen wird es ziemlich bald ziemlich warm. Die schwule Schwüle nagt an ihrem Make-up, weswegen sie sich Erleichterung mit Spitzen-Fächern verschaffen. Und an der Bar frostkaltes Mineralwasser ordern. Der Mann, der ihnen das Getränk über die Theke schiebt, hat sein weißes Sweatshirt um die Hüften drapiert. Damit man sich seufzend auch so wohlgeformte Arme wünschen kann. Und weil das Sweatshirt an der einzig richtigen Stelle mit einem Wort knallt: Arschficker, und das in Großbuchstaben.

So geht es alle Sonntage zu im Metropol beim Gay T-Dance, erstaunlich diszipliniert, und nur die wenigstens finden jemanden, der mit ihnen, anschließend, unter die Federn kriecht. Aber etwas ist anders, und das kriegen die Techno- Tänzer am eigenen Leib zu spüren. Man entzieht ihnen den Spaßmacher, das heißt die Bässe, und auf die Bühne stolpern zwei Männer mit Mikrophonen. Der eine hat sich scherzhafterweise in BeV StroganoV umgetauft und designt Fummel. Sein Outfit wechselt er in dieser Nacht noch sechsmal. Der andere heißt an diesem Sonntag schlicht und ergreifend Pornostar. Wobei das einzig Pornographische an ihm die abenteuerliche Kombination seiner Klamotten ist.

„Lifeguard“ lautet das Motto, unter dem der Berliner Ableger des Hamburger Vereins „Big Spender“ in dieser Nacht ins Metropol gelockt hat. Alleiniger Zweck des Vereins, den es außerdem noch in München gibt: Geld sammeln, soviel wie möglich und von wem auch immer. Die allesamt unentgeltlich für „Big Spender“ tätigen Journalisten, Ärzte und Künstler antichambrieren bei Zigaretten- und Autofirmen und erhöhen die Kollekte auch durch Privatspenden, um ein so genanntes „Lighthouse“ in Berlin zu installieren. Innerhalb von zwei Jahren kamen so in Hamburg mehr als eine halbe Million Mark zusammen. Im Lighthouse, einer Art Aids-Hospiz, sollen irgendwann einmal Menschen in Ruhe, in einem Kiez und unter Freunden, sterben können. Die Bewohner eines Lighthouses sollen pflegerisch betreut werden, aber auch „spirituell“. Lighthouse heißt Leuchtturm und folgt dem schönen Leitmotiv „to guide someone safely home“.

„Big Spender“ ist eine Notgeburt, entstanden durch ein Manko, das die Bundesregierung in Tateinheit mit 16 Ministerpräsidenten bewußt herangezüchtet hat. Die finanzielle Unterstützung aller Aids-Projekte ist auf einem Tiefstand angelangt, viele müssen ihre Arbeit mangels Geld einstellen. Immer mehr Aids-Infizierte und -kranke mit Vollbild driften ab in Armut, Obdachlosigkeit und menschliche Isolation, übrigens auch, weil in der schwulen Szene Aidskranke diskriminiert werden – und Bonn hat nichts Besseres zu tun, als den Geldhahn zuzudrehen und somit vielen Aids-Initiativen den Todesstoß zu versetzen. Als Tranquilizer für das vereinzelt vorhandene schlechte Gewissen fungiert da womöglich „Big Spender“, Schirmherrin: Prof. Dr. Rita Süssmuth (CDU), Bundestagspräsidentin und einst umstrittene Gesundheitsministerin in dem Land, in dem inzwischen 60.000 Menschen das Aids auslösende Virus HI in sich tragen.

So versucht der Verein, mit lauten Veranstaltungen auf sich aufmerksam zu machen. Und an Geld zu kommen. Von den 20 Mark Eintritt zur Metropol-Party geht jeweils die Hälfte aufs „Big Spender“-Konto, für den Losverkauf gilt das gleiche. Allerdings konnte auch die Galionsfigur der Berliner Schwulenszene, die Museumsleiterin und Transvestit Charlotte von Mahlsdorf, in dieser Nacht nicht dazu beitragen, alle Lose loszuwerden. Die Meute suchte Spaß – und fand ihn auch. Ohne Gage intonierte die wuchtige Mama der US- Homos, The Fog, ihre Disco-Banalitäten; ihr größter Fan dirigierte die Einsätze mit einer Peitsche. Selbst Ravka von Ham & Spoon schenkte ihre drei besten Hits, nicht ohne zwischendurch „Schützt Euch vor Aids“ zu warnen. Und Szene-Sternchen Kaspar Kamäleon hatte sich ein T-Shirt übergestreift mit der politisch korrekten Losung „Safe Sex is hot Sex“.

Das war's dann aber auch schon an Bedenkenträgerei, das Thema Aids an diesem Abend war ansonsten ins Kurzzeitgedächtnis verbannt. Showtime für Aids, aber bitte schön, Spaß war gewollt und wurde gebracht. Antanzen gegen Aids, und die Stimmung nur ja nicht trüben mit düsteren Gedanken. Dafür spricht, daß der einzige Info-Stand so gut versteckt lag, daß sich nur alle Stunde ein Tänzer dorthin verirrte. Und vermutlich auch nur, weil die Luft dort so schön kühl war.

Im Rahmen der „Big Spender“- Benefiz-Wochen zeigt die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz am 15.12. um 21 Uhr den Film „Liebe im Zeitalter von Aids“ aus der Edition Salzgeber. Am 16.12. laufen vierzig Models mit den Klamotten und Hüten von zehn Berliner Designern unter dem Motto „Fashion for Aids“ gegen die Immunschwächekrankheit an. Hildegard Knef wird außerdem Gedichte vortragen, Matthias Frings („Liebe Sünde“) moderieren.

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