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„Sie würden doch auch spielen“

■ Ächzend gewinnt Boris Becker beim Grand-Slam-Cup

München (taz) – Er wirkte wirklich witzig, der Boris Becker, als er bei der Pressekonferenz ächzend und stöhnend in seinen Sessel hineinplumpste, die Augen rollend, den Kopf fragend zur Seite haltend. Sollte das der gereifte Familienvater sein, den er so gerne darzustellen pflegt? War jener zornige junge Mann, der zuvor unter Flüchen sein Arbeitsgerät zu Boden geschleudert hatte, etwa der frisch motivierte „Sohn Münchens“ (Hallensprecher Jo Brauner), den es an die Spitze der Tennis-Weltrangliste zurückdrängt?

Nun, Boris Becker zeigte beim dienstäglichen Auftakt des Grand- Slam-Cups in der Münchner Olympia-Halle beinahe jedes seiner Gesichter: Behäbig tölpelte er in den ersten beiden Sätzen seines Erstrunden-Matches gegen Wayne Ferreira durch das Viereck, oftmals einen Schritt zu spät, gefühllos klopfte er beim Return gegen die Bälle wie ein Imbißbudenbetreiber auf die rohen Schnitzel. Und es schien, als sollte auch des Münchners zweite Teilnahme an der millionengeschwängerten Filzkugel-Sause so enden wie im vergangenen Jahr, als er dem Südafrikaner unterlag. Aber es wäre kaum Beckers „Traumjahr“ (Becker), hätte nicht Fereira in entscheidenden Momenten geschusselt, es mit einem Aufschlagverlust nämlich „erlaubt, mich den dritten Satz in Ruhe zu Ende spielen zu lassen“ (nochmal Becker).

Die Racket-Athleten sind freundlich zueinander beim saisonfinalen Rendezvous an der Isar, wenngleich ein jeder betont, wie bitterbitterernst er das Turnier nehme, bei dem es zwar keine Weltranglisten-Punkte, wohl aber klingende Münze zu verdienen gibt. „Die Dinge im Tennis haben sich sehr verändert“, sagte Boris Becker, der einst das Reibach- Championat (der Sieger ist um 1,5 Millionen Dollar reicher) so heftig bekrittelt hatte. „An meiner Stelle würden Sie doch auch hier spielen“, beschied indes Becker einen allzu nörgelnden Journalisten, und selbst Branchenführer Pete Sampras freut sich bereits auf den Scheck, der in seinem Fall um eine halbe Bonus-Million üppiger ausfällt, weil der Amerikaner in diesem Jahr noch zwei Grand-Slam- Turniere gewann. „Ist doch prima“, sagt Sampras, „für ein paar zusätzliche Weihnachtseinkäufe.“

Dennoch geht es dieser Tage in München nicht nur um schlichtes Absahnen. Für den Tennis-Krawallo Goran Ivanisevic etwa, Beckers heutigen Viertelfinalgegner, ist das Turnier gewissermaßen ein Resozialisierungsprogramm: Weil der Kroate beim Frankfurter ATP- Finale gegen die strengen Sitten des weißen Sports verstoßen hatte, wurde er bis zu den Australian Open im Januar von der ATP gesperrt.

Beim Münchner Wohltätigkeitsspektakel darf er aber ran, denn – und das ist zwar nicht neu, wurde aber erstmals von Turnier- Organisator und Becker-Manager Axel Meyer-Wölden erwähnt – der Wettbewerb besitzt einen karitativen Charakter: Zwei Millionen Dollar werden jährlich der Grand- Slam-Stiftung gespendet, die damit aufstrebende Tennisspieler aus der sogenannten Dritten Welt finanziell unterstützt. Merci beaucoup!

Doch was die Edelmütigen so generös als „Tropfen auf den heißen Stein“ bezeichnen, dürfte indes kaum den Elitärgeruch der Branche naturalisieren, denn die Vermutung liegt nahe, daß den Oberschicht-Kids noch ein paar Dollarscheinchen en plus zugesteckt werden. Bettelarmen Verhältnissen können jene afrikanischen, lateinamerikanischen und asiatischen Tennistalente jedenfalls kaum entstammen, wenn sie es sich leisten konnten, in die Weltspitze hineinzutrainieren. Zwei Millionen Dollar für unterprivilegierte Regionen dieser Erde – das ist schön. Möglich ist allerdings, daß es irgendwo sinnvollere Adressaten gibt als ein paar Filzballdrescher. Markus Götting

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