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„Spiegel deß Teufel Bildnuß“

„Der Film ist älter als das Kino“ – Frankfurt feiert die Laterna magica  ■ Von Manfred Riepe

„Kindheit“ heißt in Ingmar Bergmanns „Fanny und Alexander“ knarrende Holzdielen, Milch für die Katzen und – die Zirkusleute, Pferde und Hans-guck-in- die-Lufts, die im holprigen Galopp über die Laterna magica zogen. 24 Bilder pro Stunde erzählten die Geschichten von „Prinz Eugen, der edle Ritter und die Türken vor Wien“ oder einfach Märchen wie „Die Schöne und das Biest“. Unter dem trutzigen Motto „Das Kino ist älter als der Film“ zeigen die „2. Frankfurter Tage der historischen Projektionskunst“, daß die bemalten Glasplatten schon im 17. Jahrhundert ästhetische und technische Keime der Lichtbildvorführung in sich bargen. Lustigerweise wirkte der mit ungeheurer Hingabe arbeitende wissenschaftliche Leiter des Instituts, Ludwig Vogl, selbst ein wenig wie aus dem Barock herübergerettet.

Die mit Gaslicht — dem sogenannten „Limelight“ — betriebene Apparatur, ein Vorläufer des heutigen Diaprojektors, war eine Erfindung des niederländischen Mathematikers Christiaan Huygens aus dem Jahr 1655, im Zuge seiner Erforschungen der Wellentheorie des Lichts entstanden. Ohne Huygens wäre Isaac Newtons „Principia mathematica“ nicht denkbar gewesen, die bekanntermaßen den heiligen Kern des westlichen Weltbilds abgab – voilà: Kino und „exakte Naturwissenschaften“ entstammen derselben Wurzel. Da komme noch einer und nenne es eine Illusionsmaschine. Ästhetische Anwendungsmöglichkeiten seiner Apparatur kamen dem protestantischen Wissenschaftler Huygens nicht in den Sinn. Als berühmtester „Nichterfinder“ der Laterna magica erschloß der katholische Theologe und Zeitgenosse Huygens', Athanasius Kircher, die künstlerischen Möglichkeiten der Bildprojektion – eine Arbeitsteilung und Konkurrenz zwischen Wissenschaft und Kunst etablierend, die sich bei der Erfindung des Films in den Gestalten von Lumière und Méliès wiederholen sollte.

Die Wirkung der auch Zauber- oder Schreckenslaterne genannten Apparatur auf das damals durchweg gläubige Publikum war enorm. Zum ersten Mal in der Geschichte der Kunst konnte man den Teufel nicht nur an die Wand malen, sondern auch leibhaftig erscheinen lassen. Mit beweglichen Laternen und auf Weihrauch projizierten Bildern gelangen sogar 3-D-Effekte: „Naturwissenschaftlich gebildete Experimentatoren“, so Vogl, „konfrontierten ahnungslose Menschen mit geradezu real gewordener Metaphysik, um sie ins Bockshorn zu jagen.“ Der Bamberger Jesuitenpater Kaspar Schott überliefert auch prompt das erzieherische Interesse der Kirche an technisch reproduzierbaren Phantasmagorien schon aus dem Jahr 1671: „Durch diese Kunst könten gotlose Leute leichtlich von Begehung vieler Laster abgehalten werden / wenn man auff den Spiegel deß Teufel Bildnuß entwürfe und an einen finsteren Ort hinschlüge.“ (Sag das mal einem Medientheoretiker heute!)

Ganz so wüst ging es in Frankfurt nicht mehr zu. In ihrer Doppelpremiere „Die schlafende Schöne“ und „Das Auswandererschiff“ präsentierten Karin Bienek und Ludwig Vogl, was die Laterna magica konnte, als sie auf ihrem Höhepunkt im 19. Jahrhundert angekommen war, wo sie bereits eine recht respektable Verbreitung erlebte. Prompt erweist sie sich als außerordentlich bürgerliches Entertainment auf dem Weg zum Jahrmarktsvolk. „Das Auswandererschiff“ erzählt die Geschichte eines Hessischen Dorfes, das unter feudaler Herrschaft leidet und komplett nach Amerika auswandert. Die Story präsentiert Wunschbilder vom gelobten Land und einen (melo-)dramatischen Schiffsuntergang. Durch Mehrfachprojektionen entstehen bereits einfache bewegte Bilder, und auch die anrührende Versüßlichung der auf Breitenwirksamkeit abzielenden Geschichte zeigt, daß das mit Musik, Sprache und teilweise spektakulären Soundeffekten angelegte Multimediaereignis Laterna magica nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch das Ausdrucksspektrum des Films vorwegnimmt.

Durch das Hinzutreten der Fotografie entwickelt sich die Laterna magica zum Massenmedium im heutigen Sinn. Waren Laternenmagiere wie Robertson zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch Live-Künstler, die ihre Geschichten selbst zusammenstellten und mit ihren Texten schlagfertig auf das Publikum reagierten, so wurde durch die millionenfache Verbreitung industriell gefertigter „Life Model Slides“ — mit Akteuren gestellte Szenen wie beim heutigen Fotoroman — die Rolle des kunstfertigen Projektionisten durch die technische Entwicklung kassiert.

„Bessy, des Trunkenbolds Kind“, präsentiert vom „Lebendigen Zauberlaternen Museum“, ist eine typische fotorealistische Bildergeschichte dieser Epoche, die dräuend vom Dämon Alkohol im frühen Industriezeitalter erzählt. Das Publikum bestand weitgehend aus Arbeitern und Armen, die ihre verheerende Lage in derart versüßter Form widergespiegelt bekamen. In großen Auflagen produziert und durch ein breit gefächertes Verleihsystem verbreitet, setzte unter anderem die englische „Temperenzbewegung“ auf den erzieherischen Wert dieser Melo- Horror-Picture-Shows.

Arme Schlucker hatten für derartiges „Entertainment“ allerdings kein Geld übrig. „Die Zahlungsfähigkeit für den tatsächlich entstehenden Markt kam also nicht vom Publikum, sondern von jenen, die sich Zugriff auf Denken und Empfinden der Menschen durch diese Medien erwarteten“, recherchierte Vogl. Deswegen gibt es „hinreichenden Anlaß für die These, daß die frühe Sozialarbeit einen entscheidenden Beitrag für die Entwicklung des Massenmarktes im Medienbereich (wenn nicht des Massenmarktes überhaupt) geleistet hat.“ Na bitte.

Die Bildträger der Laterna magica galten lange nicht als Kunst und wurden daher nach der raschen Einführung des Films nicht erhalten. Die Unzugänglichkeit der Quellen führte zu einer verkürzten Geschichtsschreibung, die das Kino nur auf die Erfindung der animierten Fotografie rückdatiert. Die akribische Rekonstruktion der historischen Projektionskunst durch Bienek und Vogl hat ausgegraben, daß ausgerechnet in Bayreuth, lange vor der „Ring“-Premiere 1876, der erste vollkommen abgedunkelte Vorführraum entstand.

Die Vorgeschichte des Films gipfelt darin, daß zugunsten industriell gefertigter Serienbilder der mit einer künstlerischen Performance verbundene Live-Event verdrängt wurde. Apologeten des Kinos werden einwenden, daß dieser im Kinoerzähler seinen Erben fand. Aber der schwieg ja dann bekanntermaßen auch bald still.

Informationen zu den Frankfurter Tagen der historischen Projektionskunst über das Deutsche Filmmuseum, Schaumainkai, 60596 Frankfurt am Main, Tel. 069/ 212 38 830.

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