: Das Große ganz klein sagen
Carmen Thomas verläßt die WDR-Radioreihe „Hallo Ü-Wagen“, die nur durch sie werden konnte, was sie ist: Hausfrauenfunk für Fortgeschrittene ■ Von Klaudia Brunst
„Welche Richtung die Moderatorin mit ihrer Sendung „Hallo Ü-Wagen“ verfolgt, dürfte unschwer seit langem bekannt sein: Sie würde selbst beim Thema „Das Liebesverhalten der Froschpaare beim Mondschein“ eine Benachteiligung des Froschweibchens feststellen“ („Ü-Wagen“-Hörerzuschrift von A.H. aus Niederkassel- Mondorf).
Donnerstags krank zu sein war ausnahmsweise ein echtes Vergnügen. Da stellte mir meine Mutter nämlich das Radio neben den Hustensaft, verschob den Abwasch ausnahmsweise auf den Nachmittag, und dann hörten wir uns gemeinsam den „Ü-Wagen“ an. Da meldete sich Carmen Thomas dann zum Beispiel aus Oelde („Mama, wo ist eigentlich Oelde?“) und sprach sinnigerweise über das Thema „Von Kopf bis Zeh, gegen jedes Wehweh: die Hausapotheke“ oder fragte in Duisdorf („Mama, wo ist...“) „Warum bleiben sie nicht zu Hause? Berufstätige Mütter“ oder in Bochum „Sarg, Urne oder See: Was wird mit der Leiche?“ („Maaaama!“).
20 Jahre lang tingelte Carmen Thomas mit ihrem WDR-Übertragungswagen durch das weite Land des WDR-Sendegebietes und machte das, was man früher „Hausfrauenfunk“ nannte: Jeden Donnerstag ab 9.20 Uhr, wenn der „Ü-Wagen“ auf Sendung geht, versammelt sich eine treue Fangemeinde um die heimischen Küchenradios. Zwischen Aachen und Zülpich goutierten die Ü-Wagen- HörerInnen mit sicherem Gespür für Qualität ein Sendeformat, das sich seit 1974 über alle Radioreformen retten konnte. Das Prinzip des Erfolges ist prinzipiell einfach: Ein gut recherchiertes Thema, häufig durch eine HörerIn angeregt, wird launig angekündigt und dann in fast drei Stunden von allen Seiten beleuchtet. Experten dürfen Expertisen geben, Betroffene betroffen sein, und zwischen den einzelnen Takes gibt es ein bißchen Musik. Radio also, wie man es kennt?
Es ist Carmen Thomas zu verdanken, daß der „Ü-Wagen“ sich in all den Jahren nie so einfach im Rauschen der Kanäle versendete. Das liegt weder an ihrer kaum je besonders brisanten Themensetzung noch an einer außergewöhnlichen Prominentenauswahl. Die Programm-Palette von zwanzig Jahren „Ü-Wagen“ ist bunt gemischt und meist geradezu kleinstädtisch-alltäglich orientiert. Aber Carmen Thomas, die ihre persönliche Meinung zum Thema des Tages durchaus gerne durchblicken läßt, verlangt auch von den Beteiligten der Sendung Parteilichkeit: Hier müssen die Experten auch betroffen sein, Bürgermeister auch Bürger, und die Betroffenen sollen mindestens klare Expertisen ihrer Befindlichkeit abgeben.
In zuweilen abenteuerlichen Denkschleifen ist das „Zur Sache reden“ eines der obersten Gebote ihrer Mitmachsendung. Wer allzu lange schwafelt oder sich womöglich in Fachchinesisch rausreden will, wird zwar charmant, aber doch rüde unterbrochen: „Moment, das versteht doch kein Mensch“, blafft sie den Herrn vom örtlichen Gewerbeamt dann an und fordert ihn freundlich, aber bestimmt auf, „das doch jetzt mal ganz klein zu sagen“. Gerne erzählt die Radio-Journalistin von ihrem „Schlüsselerlebnis“ in Sachen „respektlos nachfragen“: Da habe sie 1973 Knall und Fall ein Interview statt mit Redaktionskollege Müller mit dem damaligen Innenminister Genscher höchstpersönlich machen müssen – live, ohne jede Vorabsprache. Und habe sich plötzlich nicht getraut, die vorbereitete simple Eingangsfrage „Lieber Kollege Müller, was ist eigentlich das 2. Bundesbesoldungsgesetz?“ an den großen Minister zu stellen.
Heute hat Carmen Thomas ihre kleinen Fragen an die großen Tiere längst zum Stilprinzip ihrer Interviews gemacht. Und so mancher Experte oder Politiker muß sich gehörig zur Decke strecken, will er sich gegenüber der nur scheinbar naiven Moderatorin nicht als Fachidiot lächerlich machen.
Als Carmen Thomas die „Mitmachsendung Hallo Ü-Wagen“ 1974 übernahm, war das WDR- Format im Bereich „Musikalische Unterhaltung“ angesiedelt. Der kleine Übertragungswagen stand irgendwo an einem beliebigen Ort des WDR-Heimatstandorts Köln. Wer das mobile Studio aufgestöbert hatte, durfte zum Dank Grüße und einen Musikwunsch über den Äther schicken.
Carmen Thomas aber wollte mehr als eine launige Schnitzeljagd. Sie stellte die Sendung unter ein wöchentlich wechselndes Thema und wählte den Ort nun nach dem Motto der Sendung aus. Wer etwas sagen wollte, sollte sich nun, bitte schön, zum „Umtauschrecht“, zum Thema „Gastarbeiter“ oder „Sportunfälle“ äußern. Und siehe da! Die HörerInnen hörten nicht mehr nur, sie zeigten tatsächlich Lust, mitzudiskutieren.
Viele kleine Hürden im ungewohnten Gespräch mit dem Medium Radio wurden nach und nach abgebaut: Die Rampe des Übertragungswagens „Violetta“ wurde gesenkt, um den Einstieg zu erleichtern, die Expertenrunde hinter dem Moderationstisch wurde abgeschafft, nun mußten sich auch die großen Tiere mit baumelnden Beinen auf die Tischkante setzen. Ein drahtloses Mikro erlaubte es bald, sich auch unter die ZuhörerInnen vor dem Wagen zu mischen. Spontan und ohne Angst vor dem Mikrophon sollten die HörerInnen ihre Erfahrungen und Meinungen kundtun.
Hinter all den kleinen Reformen und Umbauten steht ein sensibles Gespür für verdeckte Hierarchien und der zähe Ehrgeiz, diese aufzuheben, um so tatsächlich Landfunk von unten anzubieten. Und während auf den Radiowellen der modernen Kanäle derzeit wieder die alten Mitmachformate, die Faxgrüße und Jodelspiele, obenauf schwimmen, hat sich der „Ü-Wagen“ mit Erfolg (wegen seines Erfolges?) eine Sendestrecke von üppigen 160 Minuten erhalten können. Bis heute jedenfalls. Denn nun wird die Sendung doch aus dem attraktiven WDR 2-Programm in die neue werbefreie Schiene WDR 5 abgeschoben. Dahin allerdings wollte Carmen Thomas nicht mehr folgen. Heute verläßt sie die „Violetta“ mit einer Rückschau auf 20 Jahre „Hallo Ü-Wagen“: Die „Spurensuche“ startet ein letztes Mal um 9.20 Uhr auf WDR 2. Schade eigentlich, daß ich heute keine Grippe habe.
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