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■ Ist alles plötzlich ganz anders, oder handelt es sich nur um taktische Manöver? Sind die Diskussionen um den Abzug der Blauhelme aus Bosnien ernstzunehmen, oder sollen damit nur bestimmte...Wenn Blauhelme zuviel blau machen

Ist alles plötzlich ganz anders, oder handelt es sich nur um taktische Manöver? Sind die Diskussionen um den Abzug der Blauhelme aus Bosnien ernstzunehmen, oder sollen damit nur bestimmte Verhandlungspositionen untermauert werden?

Wenn Blauhelme zuviel blau machen

Seit die bosnischen Serben den Abzug einer ersten Gruppe von Blauhelmen aus Bihać verhinderten, wird die Diskussion über ein Ende der UNO-Operation in Bosnien immer aufgeregter. In den Hauptstädten Frankreichs, Großbritanniens und Kanadas sowie in der New Yorker UNO-Zentrale meldeten sich gestern Befürworter und Gegner eines Abzugs der derzeit in Bosnien stationierten 22.000 Unprofor-Soldaten zu Wort.

Dramatisch klang der Hinweis des US-amerikanischen Verteidigungsministers William Perry auf – längst bekannte – Notfallplanungen der Nato. Danach sollen zur Sicherung des Unprofor-Abzugs im Fall von Behinderungen oder Widerstand durch eine der bosnischen Kriegsparteien Bodentruppen der westlichen Militärallianz eingesetzt werden (bis zu 25.000 Kampfsoldaten und 25.000 Versorgungsoldaten). Auch UN-Generalsekretär Butros Ghali hat nach Angaben seines Sprechers die Ansicht vertreten, der Sicherheitsrat könne den Rückzug der Blauhelme beschließen.

Während Perry mit seiner öffentlichen Erklärung vor allem das erhebliche lädierte Image der Nato und ihrer Führungsmacht USA aufpolieren wollte, ging es den Außenministern der beiden Staaten mit den größten Unprofor-Kontingenten in Bosnien, Frankreich (3.600 Soldaten) und Großbritannien (3.300 Soldaten) gestern morgen vor den Parlamenten in Paris und London vor allem um Druck auf die bosnische Regierung. „Zwar ist der Abzug noch keine beschlossene Sache, doch bewegt sich die Staatengemeinschaft nach und nach auf einen unvermeidbaren Abzug zu“, erklärte Frankreichs Alain Juppé. Sein britischer Amtskollege Douglas Hurd äußerte sich ähnlich.

Mit der Drohung, der muslimischen Zivilbevölkerung in den von serbischen Truppen eingeschlossenen Enklaven und „UNO-Schutzzonen“ Goražde, Zepa, Srebenica, Tuzla, Bihać und Sarajevo durch Abzug der UNO-Soldaten auch noch den letzten Rest Schutz und humanitäre Versorgung zu nehmen, wollen Paris und London die Regierung Izetbegović zu weiteren Konzessionen an die Pale-Serben zwingen.

Zunächst soll sich die bosnische Regierung zu erneuten Verhandlungen mit Serbenführer Radovan Karadžić über den einst von der internationalen Kontaktgruppe (bestehend aus Frankreich, Großbritannien, Deutschland, USA und Rußland) als „unverhandelbar“ präsentierten Teilungsplan bereit finden. Zwar nicht über die Aufteilung des bosnischen Staatsterritoriums im Verhältnis von 51 zu 49 Prozent. Bei diesen Größenordnungen soll es – zumindest vorläufig – bleiben. Dies hat Karadžić konzediert, damit die fünf Kontaktgruppen-Regierungen weiterhin öffentlich behaupten können, sie hätten ihren urprünglichen Teilungsplan nicht verändert. Allerdings hat die Kontaktgruppe den bosnischen Serben bereits nicht nur die Konföderation mit Serbien zugebilligt, sondern auch das „Recht“, in einer neuen Verhandlungsrunde mit der bosnischen Regierung einen umfangreichen Austausch von Gebieten im Rahmen der generellen 51:49-Prozent-Aufteilung zu fordern und damit die auf dem bisherigen Teilungsplan markierten Grenzziehungen, denen die bosnische Regierung im Juni dieses Jahres offiziell zugestimmt hatte, erheblich zu verändern. Der Schlüssel für die weitere Entwicklung liegt darum in Pale, dem Hauptquartier der bosnischen Serben.

Erst nach erzieltem Einvernehmen mit der bosnischen Regierung sowohl über den Gebietsaustausch wie über alle Details einer serbischen Konföderation müssen sich die serbischen Truppen von derzeit besetzten 70 Prozent auf 49 Prozent des Landes zurückziehen. Auch das hat die Kontaktgruppe Karadžić zugesagt. Nach Auskunft von Vertrauten des Serbenführers wird er in künftige Verhandlungen mit der Position gehen, „weniger als ein Fünftel“ des bislang den Serben zugedachten 49-Prozent- Gebiets sei „wirtschaftlich nutzbar“. Karadžić wird von der bosnischen Regierung einige Industriezentren fordern, die Überlassung der drei ostbosnischen Muslim- Enklaven Goražde, Srebrenica und Zepa, einen Teil Sarajevos sowie eine direkte Landverbindung des künftigen bosnisch-serbischen Gebiets zur Adria.

Doch das Kalkül Frankreichs und Großbritanniens, die bosnische Regierung mit der Drohung des Unprofor-Abzugs zur totalen Kapitulation zu zwingen, geht möglicherweise nicht auf. Bislang wird diese Drohung nicht einmal im Lager der westlichen Entsendestaaten von UNO-Soldaten unterstützt. Kanadas Verteidigungsminister David Collenette sprach sich am Donnerstag gegen einen „voreiligen Abzug“ aus. Spanien und die Niederlande halten sich bislang bedeckt. Pakistan, Malaysia und die Türkei sind entschlossen, ihre Unprofor-Soldaten in Bosnien zu belassen und verweisen auf die seit Oktober 1993 vorliegende Bereitschaft mehrerer Staaten des Südens, weitere 10.000 Soldaten zu entsenden. Im UNO-Sicherheitsrat ist bislang die erforderliche Mehrheit für einen Beschluß über das Ende der Unprofor-Operation in Bosnien nicht in Sicht. „Dieses Thema steht nicht auf der Tagesordnung“, erklärte der amtierende Ratspräsident Bukuramutsa Manzi (Ruanda) gestern. Andreas Zumach, Genf

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