: Altberlin gegen Altberlin
Vom Verlagsprojekt der Lucie Groszer, der Erfolgsgeschichte des Hartpappenbilderbuches Ost, von Zwangsverkauf und Westwandel, Mißlichkeiten und Streitigkeiten, kurz: Ein Porträt des Altberliner Verlages ■ Von Caroline Roeder
Als Lucie Groszer am 1. Juni 1945, wenige Wochen nach Kriegsende, ihren „Altberliner Verlag“ gründete, verstand sie den Namen programmatisch: Erinnerungen an das alte, das ehemalige Berlin wollte sie sammeln, aber ebenso die zerstörte Stadt abbilden. Der Sitz war in der Alten Schönhauser Straße in Berlin-Mitte, im gleichen Haus, in dem sie schon seit 1944 eine „Bücherstube“ betrieb.
Wie der Zufall es wollte, trat bald die Organisation „Rettet das Kind“ an sie heran, die zu Weihnachten ein Märchenbuch an Waisenhauskinder verschenken wollte. Und so erschien als erste Publikation „Brüderchen und Schwesterchen“ der Gebrüder Grimm in der Märchen-Auflage von 220.000 Exemplaren.
In den folgenden Jahren und Jahrzehnten avancierte der Altberliner Verlag zu einem der angesehensten deutschsprachigen Kinderbuchverlage. Zahlreiche KinderbuchautorInnen und -illustratorInnen hatten sich aufgrund des ersten Buches an Lucie Groszer gewendet, damit war ein Grundstock gelegt, und Lucie Groszer ging nun einfach auf diesem Weg weiter.
Bilderbücher als Notprogramm
1950 kam Johannes Bobrowski als Lektor in ihr Haus. Er entwickelte ein profiliertes Kinder- und Jugendbuchprogramm, das auch zahlreiche Bilderbücher enthielt. Vor allem auf diese gründete sich das Renommee des Verlages in Ost und West. Dabei waren sie aus der Not geboren: Die Papierknappheit nach dem Krieg sowie die spärliche Papierzuteilung in der späteren DDR ließen das Verlegen seitenstarker Kinderromane kaum zu.
Ab 1959 mußte der Nachfolger Bobrowskis, Alfred Könner, sogar mit einer Zweidrittelkürzung des Papierfonds auf 29 Tonnen netto arbeiten. Lucie Groszer erzählt, daß selbst die Bilderbücher noch hauptsächlich unterm Ladentisch verkauft wurden. „Ham Se mir vielleicht ein Buch, Frau Groszer“, wurde sie gefragt. Aber nur Stammkundschaft durfte hoffen, Laufkundschaft ging enttäuscht und unbebucht wieder aus dem Laden, wie sie heute amüsiert erzählt.
Doch dem privaten Buchtreiben wurde 1979 von staatlicher Seite ein Ende gesetzt. Zwar nicht enteignet, aber zum Verkauf aufgefordert gab Lucie Groszer dem sanften Zwang nach. Sie war ohnehin dem Rentenalter nahe und nach DDR-Gesetzgebung hätte sie den Verlag ohehin nicht an ihre Söhne vererben dürfen. Als Geschäftsführer wurde Dr. Gerhard Dahne vom DDR-Kulturminister berufen. Bis zum erneuten Besitzerwechsel nach der Wende leitete er den Verlag, und das keinesfalls zu dessen Nachteil.
Autoren wie Christoph Hein mit seiner wunderbaren Erzählung für Kinder „Das Wildpferd unterm Kachelofen“ oder Peter Beckers Märchenillustrationen erschienen in diesen Jahren. Auch eine „Erbe- Reihe“ wurde ganz realsozialistisch geplant und mit dem Klassiker von Lyman Frank Baum „Der Zauberer von Oz“ poetisch begonnen: Die staatlich eingesetzte Verlagsleitung setzte keinesfalls auf pädagogisierende Erziehungsliteratur, sondern auf ein ausgewogenes und klug konzipiertes Buchprogramm, das nun zeitgemäß auf das Kind als Subjekt zielte.
Der Zusammenbruch des DDR-Buchmarktes manifestierte sich bei der Leipziger Buchmesse 1990 und die Treuhand trat auf den Plan. Der Verlag wurde zum Verkauf angeboten. Da Groszer nicht enteignet worden war, hätte sie ihn jetzt allenfalls zurückkaufen können. Doch soviel Kapital konnte sie nicht aufbringen. Das nötige Kleingeld hatte der Münchner Medienrechtsanwalt Dr. Stephan Schmidt.
In Westhänden eiert das Programm
Schmidt und die Verlegerin und Lektorin Renate Nickl leiten den Verlag heute von Bayern aus, „um nach Westen [!] offen zu sein“, wie Nickl erklärt. Presse, Lektorat und Herstellung sind weiterhin in Berlin angesiedelt. Die Ost-West- Schiene ist der Verlagsleitung eine echte Herzensangelegenheit. Die Neuerscheinung „Zirkus Konfetti“, eine Mitmachgeschichte mittleren Niveaus, wird angepriesen als Kooperation einer Westautorin, einer Westpädagogin und des Illustrators Manfred Bofinger.
Daß ein renommierter Ostverlag jetzt in Westhänden liegt, führt bei den AutorInnen, dem Zwischenhandel, den KäuferInnen und bei anderen Verlegern zu Irritationen. Statt programmbezogen zu argumentieren, wurde dieses Thema jedoch gleich selbst zum Verlagskonzept erhoben und damit reichlich überstrapaziert – hier herrscht das Marketing.
Im ersten Jahr wurden einige Klassiker auf besserem Papier neuaufgelegt und so das Erbe verwaltet. Die sonstigen Aktivitäten wirken reichlich desorientiert: In „Level 4“, einer virtuellen Computerspielgeschichte, soll mit flotter Schreibe Zeitgeist beschworen werden; das „Hartpappenbilderbuchprogramm“ aus DDR-Zeiten, gerade erst wiederbelebt, wird schon wieder eingestellt; und eine Reihe namens „bunte Knaller“ mit Titeln für Kinder ab 8 Jahren fällt unter dieser Namenskreation ab Frühjahr wieder unter den Tisch. Viel Zeit lassen die Newcomer im Verlagsgeschäft weder sich noch den Büchern.
Monopol auf „Altberlin“?
Besonders anspruchsvolle Bilderbücher wurden auch früher bereits in einer Vorzugsausgabe für Sammler herausgegeben. Die neuen Altberliner setzen mit Klaus Ensikats „Bremer Stadtmusikanten“ diese Tradition fort. In einer limitierten Auflage wird das Buch in Ganzleinen handgebunden, im Schuber und handsigniert für stolze 148 Mark (Subkriptionspreis 128 Mark) feilgeboten. Das Papier ist allerdings das gleich wie bei der Kinderbuchausgabe (30 Seiten, Pappband, 24,80 Mark). Herstellungsleiter Christian Ide rechtfertigt das mit der insgesamt hohen Qualität des verwendeten Materials. Die limitierte Auflage beträgt auch immerhin 800 Exemplare, und die übliche Original- Lithographie fehlt.
Wirklich problematisch ist hingegen der Umgang des Altberliner Verlags mit Kollegen wie der im gleichen Haus beheimateten Altberliner Bücherstube. Zu Zeiten Lucie Groszers gehörte beides zusammen – jetzt ist dem Verleger Schmidt die Klein-Verlagstätigkeit der Buchhandlung, die den Kiezführer „Das falsche Scheunenviertel“ herausgab und mit „Altberliner Bücherstube Verlagsbuchhandlung Oliver Seifert“ zeichnet, ein Dorn im Auge. Er strengte eine einstweilige Verfügung an, um das „Altberlin“ im Verlagsnamen für sich allein zu beanspruchen. Die Buchhandlung mußte das Buch tatsächlich stoppen. Eine revidierte Neuauflage wurde herausgegeben, bei der das „Altberlin“ gestrichen war.
In der ersten Instanz des anschließend angestrengten Verfahrens gewann die Buchhandlung jedoch, doch der Altberliner Verlag gab nicht auf und legte Einspruch ein. Nun steht die Hauptverhandlung an, und ein weiteres geplantes Buch der Altberliner Bücherstube liegt derweil auf Eis, weil ungeklärt ist, welcher Verlagsname draufstehen darf, soll oder muß. Einmal hat der Altberliner Verlag die Verhandlung schon verzögert, neuer Termin ist der 19.Dezember.
Problemlösung durch die Treuhand?
Stephan Schmidt vom Altberliner Verlag hält die Verlagsaktivität des Buchhändlers Seifert für eine Trittbrettfahrt. Zahllose Verwirrungen mit Bestellungen kämen bei der Namensähnlichkeit gepaart mit den gleichen Verlagsadressen zustande, auch wenn sich die Programme unterscheiden. In Kürze wird das Haus von der Treuhand feilgeboten. Sollte Schmidt an einem Kauf Interesse haben, könnte er sich den ungeliebten Kollegen ja auf eigene Faust vom Halse schaffen.
Altberliner Verlag, Neue Schönhauser Straße 8, Mitte, Telefon: 280 66 34.
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