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„Unter uns“ gesagt: Reality sucks

Die Preisträgerinnen des Autorenwettbewerbs „Die tägliche Spülung“: „Noch gar nicht richtig eingezogen – und schon gibt's Mord und Totschlag!“ Eine Storyline  ■ von Monika Gebauer und Sabine Holtgreve

Seit nunmehr zwei Wochen schäumt aus der Schillerstraße 10 täglich die RTL-Soap-opera „Unter uns“. Zum Start der Endlosserie hatten wir unsere LeserInnen aufgefordert, die Dramen um Jennifer und Armin, um Corinna, Marc und all die anderen einmal selbst durchzuspülen.

Von den zahlreichen Einsendungen gefiel uns die Storyline von Sabine Holtgreve und Monika Gebauer am besten, vor allem wegen der Detailgenauigkeit ihrer Ausführungen und der liebevollen Referenzen an andere Erfolgsserien, allen voran die „Lindenstraße“. Die filigran umgesetzte Mordlust und das mutige Herantasten an umstrittene sexuelle Präferenzen läßt für den weiteren Werdegang des jungen Autorinnen-Teams nur das Beste erwarten.

Montag

Armin ist nun also wirklich in die Schillerstraße 10 eingezogen, doch hinter seiner charmanten Fassade verbirgt sich eiskalte Berechnung. Als seine beiden Mitbewohnerinnen morgens das Haus verlassen, um für die Miete arbeiten zu gehen, bringt er heimlich Mikrofone an. Ein Anruf bei dem Radiosender, bei dem er beschäftigt ist, bringt seine dunklen Pläne ans Licht: Armin startet (mit finanzieller Unterstützung der Bundesregierung) einen Großen Lauschangriff auf die WG-Gespräche, um das wahre Leben einer WG der Neunziger zu dokumentieren.

Bei der Familie Albrecht bleibt hingegen auch heute die Küche kalt. Während die Bankerfrau in ihrem Büro beim Zählen von Geldscheinen eingenickt ist, provoziert Sohn Marc seinen Vater mit der verblüffenden Feststellung, daß ihn sein Gerede über Kunst angesichts der forcierten Umweltzerstörung doch irgendwie nachdenklich stimme.

Jennifer gesteht Corinna endlich ihre Liebe. (verworfen)

Am nächsten Morgen um sechs bekommt Bäckermeister Wolfgang überraschenden Besuch in seiner Backstube: Seine Frau konnte das erschütternde Geheimnis um die wahre Mutter von Antonia nicht länger halten. Doch er ist nicht der einzige Zeuge dieser Enthüllungen. Versteckt hört Antonia, was Olaf ihr die ganze Zeit verschwiegen hat: daß sie in Wirklichkeit gar nicht seine Tochter ist, sondern seine Frau. (Was uns angesichts der zynischen und menschenverachtenden Zustände im System der DDR nicht weiter zu verwundern braucht). Antonia erleidet einen Schock und schwört auf die noch warmen Brotlaibe ihrem Vater und allen HausbewohnerInnen Rache!

Dienstag

Mutter Albrecht will heute ihr Versprechen zu kochen wirklich einlösen. Kurz vor Ladenschluß stürzt sie in den Supermarkt und kauft allerlei Leckereien für die Lieben ein: Schinken, Käse, Roastbeef, Schnitzel, Lammfilet und etwas Lauch. Zufrieden steht sie an der Kasse, da stellt sich leise Panik ein: Sie hat ihr Geld im Büro liegengelassen. Ziemlich peinlich das Ganze. Als sie mit leeren Händen nach Hause kommt, hat der hungrige Marc seinen Vater gerade in eine spannende Diskussion verstrickt, die sich um die Frage dreht, ob man Kunst nicht in erster Linie unter dem Aspekt der Verschwendung wertvoller Rohstoffe betrachten sollte.

In der WG unterm Dach kommt es zu Konflikten, Corinna ist genervt von Armin, der sie ständig auffordert, laut und deutlich zu reden. Sergeant Jennifer, die vor lauter Aerobic-Überstunden kaum noch nach Hause kommt, beäugt eifersüchtig das Verhältnis der beiden. Mißtrauisch geworden, bleibt sie am nächsten Morgen zu Hause und schnüffelt in Armins Zimmer herum. Dabei findet sie einen Zettel, auf dem sie und Corinna als Darstellerinnen geführt werden für ein Doku-Ohren-Drama mit dem Titel „Realität sucks“. Jennifer versteht die Welt nicht mehr.

Als der Bäckermeister Wolfgang sich am nächsten Morgen auf den Weg in seine Backstube macht, schießt plötzlich Antonia auf ihrem neu gestohlenen Mountainbike hinter der Bäckerei hervor und nagelt den überraschten Wolfgang um.

Mittwoch

In die Trauerfeier um den seinen Verletzungen erlegenen Wolfgang Weigel platzt eine unglaubliche Nachricht. Alte Stasi-Dokumente über Olaf sind aufgetaucht, die ihn als führenden Abtreibungsarzt der Charité entlarven. Noch während die Sendung läuft, wird Olaf mit sofortiger Wirkung von Familienministerin Nolte aus der Serie genommen. (Die im voraus produzierten 230 Folgen werden mit Schwärzungen seiner Auftritte gesendet, der Ost-West-Konflikt erlebt dadurch eine beklagenswerte personelle Ausdünnung).

Jennifer gesteht Corinna ... (?)

Auch Marcs Fahrradunfall (wir erinnern uns an Folge 1: erster Einsatz Antonia) zeigt ungeahnte Spätfolgen. Ein plötzlicher, anhaltender Gedächtnisverlust trübt sein Erinnerungsvermögen und läßt ihn die einst begehrte Freundin Laura nicht wiedererkennen. Laura wendet sich bald darauf einer kosmischen (kosmetischen?) Sekte zu. Der verwirrte Marc begibt sich auf die Suche nach einer neuen Identität, tritt Robin Wood bei und baut sich im Keller sein Jugendzimmer aus. Enttäuscht von den ständig unerfüllt bleibenden Nahrungsversprechen der Mutter, wendet er sich rechtsradikalen Kreisen zu und kommt ins Fernsehen. Auf die Nachricht vom tödlichen Fahrradunfall von Bäckersfrau Margot Weigel, die kurz darauf die gesamte Schillerstraße alarmiert, reagiert der verstockte Junge nur noch mit einem Achselzucken.

Donnerstag

Die Ereignisse überstürzen sich, Corinna entdeckt unter der Brause das Mikro im Duschkopf. Jetzt werden auch Jennifer die Zusammenhänge klar. Sie gesteht in diesem Augenblick der Wahrheit Corinna endlich die lange für sie gehegten Gefühle (phew!). Zwischen den beiden entwickelt sich eine Romanze, die so stark ist, daß sie beschließen, ihr unwürdiges Leben hinter sich zu lassen, um sich gemeinsam fürderhin in der studentischen Öko-Salat-Kooperative zu engagieren.

Für Familie Albrecht sollte der Donnerstag zu einem Festtag werden, der alles verändert, denn endlich schafft es Frau Albrecht, ihre Scheinverpflichtungen abzustreifen, um sich kulinarisch-kreativ ihren Lieben zu widmen. Es gelingt sogar, Marc von der Straße zu holen, doch als Bruder Alexander im Pellkartoffeldampf die Brille abgenommen hat, erscheint Vater Joachim nicht. Ein Blick durchs Fenster verrät die grausame Wahrheit: Die schreckliche Antonia hat ein weiteres Mal zugeschlagen bzw. zugefahren: Nach dem Sohn wurde nun der Vater Opfer ihrer gnadenlosen Felgen. Der Arzt ist geschwärzt, und so muß Professor Albrecht jämmerlich verbluten.

Miethai Margot tritt aus unerfindlichen Gründen in die FDP ein. Dadurch nimmt die Serie doch noch eine politische Wendung, was den agierenden Figuren ihren letzten Handlungsspielraum raubt.

Freitag

Mutter Beimer fährt im Familienkombi vor und holt die irrlichternden RestbewohnerInnen der Schillerstraße 10 heim.

Erlösende Stille im Äther. Und wir sind endlich wieder unter uns.

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