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Gegen die Impotenz des russischen Intellekts

■ Rund 10.000 Menschen aller politischer Richtungen demonstrieren in Moskau gegen die Tschetschenien-Invasion, ihre politischen Aussagen unterscheiden sich jedoch

Moskau (taz) – Es als Meeting zu bezeichnen, das hatten die Behörden verboten. Daher hatten die Veranstalter der Kundgebung gegen den russischen Einmarsch in Tschetschenien diese schlicht „Treffen von Bürgern mit Abgeordneten“ genannt. Dennoch waren um 15 Uhr am Puschkindenkmal vor dem Moskauer Festspielkino „Rossija“, dem traditionellen Versammlungspunkt verliebter Paare, Fähnchen und Zeichen fast aller politischer Vereinigungen in Rußland zu sehen. Vorherrschend – wenn auch nicht in den ersten Reihen – waren die roten Fahnen mit Hammer und Sichel. Vor der Treppe zum „Rossija“ hatten sich außerdem tschetschenische „Kämpfer“ in hohen Pelzmützen als selbsternannte Leibwache aufgestellt. Zum erstenmal in ihrem Leben wurden so viele BürgerInnen von der „Mafia“ beschützt – und gar nicht so übel. Die Pfuirufe ertönten einheitlich, und alle waren gegen den Einmarsch in Tschetschenien gerichtet.

Wobei die Eindeutigkeit zweideutig ist: „Hände weg vom leidgeprüften tschetschenischen Volk“, forderten die einen. Die anderen aber riefen: „Hände weg von der tschetschenischen Seeräuber-Republik.“ Hier klang die in Moskau weitverbreitete Abneigung gegen die „Kaukasier“ mit. Die Losung „Das Spiel der Muskeln beweist die Impotenz des Intellekts“ war so etwa der gemeinsame Nenner.

In den Vordergrund rückte langsam die Gestalt des Präsidenten. „Jelzin hat sich von seinem Volk durch seine Nasenscheidewand getrennt, sagte ein Dumaabgeordneter in Anspielung auf die Operation, zu der der Präsident sich am Freitag ins Krankenhaus zurückgezogen hatte. Und weiter: Der Präsident muß begreifen, daß wir nicht für oder gegen Jelzin sind, wir sind für die Politik, die Jelzin durchführt, oder dagegen.“ Deutlicher wurde die Vorsitzende der ersten „Alternativpartei“, die je zu UdSSR-Zeiten gegründet worden war: „Heute und gestern hat hier im Grunde genommen ein bürgerliches Begräbnis stattgefunden – begraben wurde Präsident Jelzin als Repräsentant der demokratischen Kräfte. Es heißt, jetzt hätten Verhandlungen begonnen. Aber was können das schon für Verhandlungen sein. Solche Verhandlungen haben die Inquisitoren mit Jeanne d'Arc geführt...“ Wenigstens die demokratischen Organisationen sollten nun den Mut haben zuzugeben, daß auch das wärmste Zimmer zum Gefängnis wird, wenn man es nicht frei verlassen darf. „Wenn man die russische Föderation ohne Angst vor der Todesstrafe nicht mehr verlassen darf, dann wird sie sich in ein Völkergefängnis verwandeln und – tatsächlich – in das Imperium des Bösen.“

Die Demokraten verabschiedeten sich nach einer halben Stunde und riefen für den Sonnabend um 11.30 Uhr ein genehmigtes Meeting aus. Nachdem sie abgerückt waren, stürmte die Tribüne Kommunisten-Führer Ampilow. Die angeblich leeren Kochtöpfe und die Wiederherstellung der UdSSR waren sein Hauptanliegen. Inzwischen beklagten seine AnhängerInnen die mißliche Tatsache, daß es angeblich auf der Promenier- und Einkaufsstraße Twerskaja kein einziges russisches Ladenschild mehr gibt. „Hauptsache“, erklärt eine dicke Frau mit rotgedunsenem Gesicht, „daß wir unsere Grenzen gegen die Ausländer dichtmachen.“ Barbara Kerneck

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