piwik no script img

Rock'n'Roll-Sehhilfe für Mauerblümchen

■ Morgen startet das Musical-Großereignis „Buddy“ / Zum Auftakt liefern wir die wahre Geschichte des Schluckauf-Rockers

Am 3. Februar 1959 kurz vor ein Uhr morgens zerschellt in der Nähe von Mason City (Iowa) eine kleine Propellermaschine. Schlechte Sichtverhältnisse und ein unerfahrener Pilot sind die Ursache des Absturzes, bei dem alle vier Insassen ums Leben kommen: darunter auch zwei damalige Rock'n'Roll-Stars, der 23jährige Buddy Holly und Ritchie Valens („La Bamba“). Starb an diesem Tag mit Mister „Peggy Sue“ wirklich die Musik, wie es Don McLean dreizehn Jahre später in seinem Song „American Pie“ behauptete? Oder war dies nicht doch eher die Geburtsstunde eines Mythos, der mit dem Musical The Buddy Holly Story seinen vorläufigen Höhepunkt erlebt?

Wie bei so vielen Toden Prominenter verschwimmen nachher Wahrheit und Dichtung. Das war bei Elvis Presley der Fall, bei John Lennon und kürzlich bei Kurt Cobain nicht anders. Auch um Buddy Holly ranken sich viele Legenden, und gerade auf uneindeutigem Terrain schießen die Spekulationen besonders hoch ins Kraut. Für die einen ist der Mann mit der dicken Hornbrille die langweiligste Sehhilfe, die das Musikbusiness je hervorgebracht hat. Andere sehen in ihm einen der talentiertesten Songschreiber seiner Zeit, dessen Einfluß nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

Geboren wurde Buddy, wie sein Rufname lautete, als Charles Hardin Holley am 7. September 1936 im texanischen Lubbock, damals eine Provinznest von 25.000 Einwohnern. In dem 0rt, 300 Meilen westlich von Dallas gelegen, geht es erzkonservativ zu: „Die Schnalle des Bibel-Gürtels“ bezeichnet treffend die moralische Stimmung in Lubbock. Rassentrennung wird groß geschrieben und Musik nur dort geduldet, wo auch Gott sie gerne hört: in der Kirche. Buddys arme Eltern jedoch pflegen die Hausmusik und ermöglichen ihren vier Kindern den Musikunterricht. So lernt das jüngste Kind, Buddy, mit elf Jahren Klavier und Gitarre.

Es folgt mit 17 der erste Plattenvertrag bei Decca in Nashville. Der möglichen Karriere zuliebe beugt Holly sich den Wünschen der Firmenbosse, verzichtet darauf, mit seinen alten Kumpels zu spielen und übergibt die Rhythmusgitarre einem Studiomusiker. Doch seine devote Kompromißbereitschaft nützte wenig: Erst im Sommer 1957, inzwischen zu Brunswick gewechselt, gelang mit „That'll Be The Day“ der erste größere Erfolg, dem sich Ende des Jahres der weltweite Hit „Peggy Sue“ anschloß.

Das folgende Jahr sollte für Buddy eines der einschneidensten werden: Erst heiratete er, dann trennte er sich Ende 1958 von seiner Band und zog von Lubbock nach New York. „Ich finde es abscheulich und hasse das“, soll er den regelmäßigen Alkoholkonsum seiner Musiker verdammt haben.

Selber war Holly tatsächlich ein Vorbild an Tugendhaftigkeit. Daß er keine Frauengeschichten hatte, kein Dope rauchte und nur selten trank, ließ an seiner tiefverwurzelten Religiosität keine Zweifel aufkommen. Doch auch ohne diese – aus seiner Sicht – Exzesse litt Holly an Gewissenskonflikten: Genüge ich auch als Musiker Gottes Ansprüchen? Er beantwortete sich die Frage auf seine Weise und blieb bis zu seinem Tod der Prototyp des pflegeleichten Schwiegersohns, der keiner Fliege etwas zuleide tut.

Dem Typus des Rock'n'Rollers wurde er so natürlich nicht gerecht: Elvis hatte seinen Hüftschwung, Jerry Lee Lewis seine Skandale. „Der schüchterne Texaner“ jedoch konnte mit dem wilden Leben nicht dienen. Daran änderte auch sein wie Schluckauf klingender exotischer Gesang nichts und auch nicht die leicht holperige Musik. Für Buddy Holly war die Normalität immer Richtschnur, und das war in den sauberen Nachkriegsjahren sicherlich kein Hindernis für Erfolg. Seine spießige „Häßlichkeit“ ließ ihn vielmehr zum Mädchentyp einer Mauerblümchen-Generation werden.

Erst kurz vor seinem Tode brach Holly mit seinem Image. Er förderte junge Musiker, schmiedete Pläne für ein Gospelalbum, sein Interesse an lateinamerikanischer Musik und Jazz wuchs. In einer gewissen Form schien er seine Unabhängigkeit nutzen zu wollen – der Fluzeugabsturz verhinderte jedoch die mögliche Weiterentwicklung.

Wie diese Musik dann wohl geklungen hätte? Vermutlich anders als die posthum veröffentlichten Stücke. Buddy Holly war kein Rebell, aber so schleimig-anbiedernd wie die nachgemixten Songs nun wieder auch nicht.

Clemens Gerlach

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen