„Art von Fundamentalismus“

■ Ein Beitrag zur Debatte über die Sendung des Films „Tod auf Verlangen“

Der Bremer Karl-Heinz Wehkamp ist von Haus aus Soziologe, Gynäkologe und Therapeut. Derzeit arbeitet er therapeutisch – und als Leiter des Sozialmedizinisch-psychologischen Instituts der Evangelischen Landeskirche in Hannover. Als solcher ist er Mitglied des Vorstands der „Akademie der Ethik in der Medizin“. Wir sprachen wir mit ihm, weil verschiedene Behindertengruppen und Teile der Kirche hatten vom NDR gefordert, den Film „Tod auf Verlangen“ abzusetzen. Dennoch lief der gestern abend auf der Nordkette.

taz: Kirchengruppen und Behindertenorganisationen haben gegen die Ausstrahlung des Films protestiert. Warum?

Karl-Heinz Wehkamp: Ich glaube, insbesondere die Behindertenverbände fürchten Angriffe auf ihre Lebensbedingungen und ihr Lebensrecht. Sie sorgen sich, daß die Freigabe der aktiven Sterbehilfe einen neuen Holocaust hier in Deutschland erzeugen könnte. Sie gehen davon aus, daß die Bevölkerung Tötungen immer wieder als im Interesse der Leidenden und Kranken darstellen könnte und daß dabei immer wieder – teils offen, teils indirekt – Morde passieren. Das ist eine ganz spezifisch deutsche Befürchtung, die es in anderen Ländern nicht gibt.

Stellen diese Gruppen sich mit der Tabuisierung dieses Themas nicht in die ungute Tradition der Geschichtsklitterung – anstelle einer offensiven Verarbeitung?

Die Strategie von manchen Behindertenverbänden und von Teilen der Kirchen läuft leider schon auf die Verhinderung der Diskussion hinaus. Erstaunlicherweise.

Als ein Selbstschutz scheint mir die Reaktion noch verständlich. Wenn aber Kirchen solche Verbotsforderungen transportieren – muß man da nicht fragen, wovor die sich schützen wollen?

Da muß man sicher zwischen den unterschiedlichen Gruppen unterscheiden. Die evangelische Kirchenleitung ist ja an der Förderung der Ethik-Diskussion interessiert. Das beweisen auch die Tätigkeiten der Evangelischen Akademien. Aber es gibt auch einen gewissen Hang zum Fundamentalismus – den ich nicht begrüße. In Deutschland gibt es ja keine Muster – aber wohl in den Niederlanden, wo per Gesetz eine aktive Sterbehilfe in verschiedenen Fällen und ganz besonderen Situationen erlaubt ist. Ich halte es übrigens gerade aus deutscher Sicht auch nicht für angebracht, ausgerechnet den Holländern Vorwürfe dafür zu machen. Das geschieht aber häufig. Zwar gibt es gleichzeitig eine Bewegung, die für das Recht der Menschen auf Selbstbestimmung eintritt. In der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben, aber auch in der Humanistischen Union beispielsweise. Dennoch ist die öffentliche Diskussion mehr von Ängsten beherrscht ...

Die Frage ist ja, wo dieser Diskurs stattfinden soll. Ist das Fernsehen ein geeignetes Medium, um solche Debatten zu fördern?

Im Prinzip schon. Ich bin aber nicht unbedingt der Auffassung, daß dieser Film die Diskussion in einer geeigneten Weise initiieren würde. Es gibt so etwas wie eine Pornografie des Todes in unserer Gesellschaft. Die finde ich persönlich ziemlich ekelhaft. Da mangelt an Respekt. Das öffentliche Darstellen des Sterbeprozesses in politischer Absicht ist nicht unproblematisch. Andererseits würde ich aber nicht sagen, dieser Film darf nicht gesendet werden.

Fragen: Eva Rhode