: Underdog der Underdogs
Wilfried Minks inszenierte „Quai West“ von Bernard-Marie Koltès an den DT-Kammerspielen ■ Von Sabine Seifert
Sie waren ein gutes Trio: der Autor Bernard-Marie Koltès, der Bühnenbildner Richard Peduzzi und der Regisseur Patrice Chéreau. Mitte der 80er Jahre kamen in dieser Konstellation mehrere Koltès-Stücke in Frankreich zur Uraufführung – nur das letzte sollte Chérau dann nicht mehr inszenieren. Ein kleiner Ausbruchsversuch des Autors, der 1989 an Aids starb. „Roberto Zucco“ kam bereits posthum zur Uraufführung. Das Gespann Peduzzi-Chéreau schuf atmosphärisch aufgeladene Inszenierungen, die den Figuren des Autors nie ganz ihre Fremdheit nahmen – ohne in Exotismus oder Kitsch auszuarten.
Isaak de Bankolé spielte damals die Rolle des Abad in „Quai West“. Abad hat eine dunkle Hautfarbe, er spricht nicht, will nicht sprechen, ist aber gerade in seiner Stummheit, diesem Affront der Antwortverweigerung, körperlich immens präsent. Sein Schweigen wirkt bedrohlich, und tatsächlich entlädt es sich am Ende – nonverbal, versteht sich. Abad ist ein Underdog unter Underdogs.
Wilfried Minks, Bühnenbildner und Regisseur aus Hamburg, hat nun das mittlerweile recht selten gespielte Stück für die Kammerspiele des Deutschen Theaters einstudiert. Insgeheim erhoffte man sich Belebung dieses Theaters durch Kräfte von außen, doch leider hat sich der sonst geschätzte Minks etwas vertan. Zwar vermeidet er zeitbezogene Aktualisierungen, ortsbezogene Konkretisierungen; bemüht sich aber um bühnenknarrenden Realismus der Figuren und ihres sozialen Elends.
Eine Metallpfeilerkonstruktion, die sich drehen und wenden läßt, zeigt an: hier geht es um Unbehauste, Überlebende, die Ratten der Gesellschaft. Abad (Dennis Rudge) tritt auf wie ein freundlicher Teddybär mit starken Armen, die spanische Emigrantenmama (Gudrun Ritter) scheint sich im Souvenirgeschäft als Anden- Queen ausgestattet zu haben – überhaupt wirken diese klasse Charakterdarsteller des Deutschen Theaters großteils fehlbesetzt. Elend, Zerrissenheit läßt sich nicht „gut“ darstellen; Hilflosigkeit, Sprachlosigkeit wären da eher am Platz. Nun hat Koltès seinen Figuren aber in einer Art Kontrastprogramm eine kunstreiche, auf den Dialog konzentrierte Sprache verliehen. Nach dem Motto „Was ich tun würde, wenn ich du wäre“ streiten und hadern und handeln gerade die jungen Leute wie das Geschwisterpaar Claire (Cathleen Gawlich) und Charles (Sylvester Groth) oder der menschlich heruntergekommene Fak (Kay Schulze).
Handeln bedeutet in der Sprache Koltès' nicht Handlung, sondern Handel. Sie machten irgendeinen Deal, welchen ist auch egal, bevor der Finanzier Maurice und seine Begleiterin Monique auf der Suche nach einem geeigneten Ort zum Absprung ins Jenseits in dem von der Außenwelt abgeschnittenen Viertel auftauchen. Die abstruse Geschichte dieses Mannes mit Nachnamen Koch (Horst Lebinsky), der nicht weiß, wie er die ihm anvertrauten Gelder veruntreut hat und wie die Marke seiner teuren Schuhe heißt, da er nicht selber einkauft, verliert sich im Lauf des Stücks wieder; irgendwann bringt sich Maurice tatsächlich um bzw. läßt sich umbringen, Abad aber erschießt zum Schluß seinen Freund Charles.
Klar, daß jeder versuchen wollte, mit dem Auto des Reichen abzuhauen, und sich alle gegenseitig die Flucht vermasseln; doch darum geht es bei Koltès nur scheinbar. „Quai West“ ist kein verhindertes Roadmovie für die Bühne. Auf kleinem Raum kommt hier eine sozial und ethnisch buntgewürfelte Gruppe zusammen, deren Fluchtimpuls ganz individuell und keineswegs kollektiv vorausgesetzt werden kann. Vor diesem Hintergrund verhandeln die Menschen ihre Beziehungen zueinander und verschachern sie gleichzeitig; wer nicht redet – wie Abad –, verhandelt nicht, der schießt. Koltès hat einen beunruhigenden Blick in den Schmelztiegel New York oder Paris geworfen – sein Stück gleicht einer Vision, bei der Fremdes, Bedrohliches aufscheint, konkretisiert in der Person des stummen Schwarzen. Koltès war fasziniert von dieser Art Schrecken, ein schöner Schrecken auch, nicht nur Bedrohung, sondern auch Verheißung, Geheimnis. Bei Wilfried Minks ist davon nicht mehr viel zu sehen: seine Truppe blieb in Hamburg – St. Pauli.
Nächste Vorstellung: morgen, 19.30 Uhr, DT-Kammerspiele, Schumannstraße 13a, Mitte.
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