Deckert muß erneut vor den Kadi

BGH hob gestern Mannheimer Skandalurteil gegen NPD-Chef auf / „Politisch Unbelehrbare verdienen keine Strafmilderung“ / Erneute Verhandlung vor dem Landgericht Karlsruhe  ■ Von C. Rath

Karlsruhe (taz) – Gegen den NPD-Chef Günter Deckert muß nun das Karlsruher Landgericht einen Prozeß wegen Volksverhetzung und der Aufstachelung zum Rassenhaß führen. Gestern hob der Bundesgerichtshof (BGH) zum zweiten Mal in diesem Jahr ein Urteil des Mannheimer Landgerichts gegen Deckert auf. Der NPD-Vorsitzende war im Juni dieses Jahres zu einer einjährigen Strafe auf Bewährung verurteilt worden, weil er in einer öffentlichen Veranstaltung die Vernichtung der Juden geleugnet hatte. In der schriftlichen Urteilsbegründung hatte der Beisitzende Richter Rainer Orlet formuliert: Deckert sei eine „charakterstarke, verantwortungsbewußte Persönlichkeit mit klaren Grundsätzen.“

Der BGH begründete die Aufhebung des „milden“ Urteils damit, daß Deckert die Tatsache des Massenmordes an Juden in den Gaskammern des Dritten Reiches aus „politisch motivierter Unbelehrsamkeit“ nicht zur Kenntnis nehmen wolle. „Wer vor der historischen Wahrheit die Augen verschließt und sie nicht anerkennen will, verdient dafür keine Strafmilderung.“ Zumal wenn es sich um Straftaten handelt, die den öffentlichen Frieden gefährden. Der BGH beanstandete außerdem die Aussetzung der Strafe zur Bewährung.

Die schriftliche Urteilsbegründung der Mannheimer Richter hatte weltweit für heftige Empörung gesorgt. Helmut Kohl bezeichnete das Urteil als „eine Schande“. SPD-Generalsekretär Günter Verheugen entdeckte gar den „unglaublichsten Justizskandal der Bundesrepublik“. Kurze Zeit später reagierte das Richterkollegium am Mannheimer Landgericht und bat jüdische Bürger um „Entschuldigung und Nachsicht“. Die beiden Hauptverantwortlichen der Strafkammer, der Vorsitzende Wolfgang Müller und Rainer Orlet, meldeten sich „dauerhaft“ krank. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sah hierin ein „ermutigendes Signal“.

Daß die recht merkwürdige „Krankheit“ der Richter so „dauerhaft“ nicht sein würde, hatte Orlet gleich am Tag nach seiner Ablösung angekündigt: „Wir kehren mit Sicherheit auf unsere Planstellen zurück“, sagte er. Zum Inhalt der Urteilsschrift erklärte er später: „Ich stehe zu dem Urteil voll und ganz und würde es in gleicher Lage genauso abfassen mit jeder Formulierung.“ Ende September kehrte Müller auf seinen Posten zurück, Mitte November folgte Orlet. Inzwischen hatte auch die Mannheimer Staatsanwaltschaft das gegen die beiden Richter eingeleitete Ermittlungsverfahren eingestellt. Mit größerem Kaliber schießt nun die SPD im baden- württembergischen Landtag. Sie möchte eine „Richteranklage“ gegen Orlet einleiten. Falls sich der Landtag dem anschließt, müßte das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden.

Tätig war unterdessen auch der Bundestag. Motiviert durch das BGH-Urteil, verfügte er, daß das „Billigen“, „Leugnen“, ja selbst das „Verharmlosen“ des NS-Völkermordes künftig generell als „Volksverhetzung“ zu bestrafen ist. Nicht mehr zu prüfen ist künftig, ob dabei auch ein „Angriff auf die Menschenwürde“ vorliegt. Diese Verschärfung des Strafgesetzbuches ist Teil des wenig rühmlichen „Verbrechensbekämpfungsgesetzes“, mit dem auch der BND neue Befugnisse erhielt und Verteidigungsrechte im Strafprozeß abgebaut wurden.

Hauptprofiteur von gesetzgeberischem Aktionismus und Richterschelte könnte unterdessen Günter Deckert werden. Zwar gilt er im Weinheimer Gemeinderat, dem er seit Jahren angehört, inzwischen als Persona non grata, auch der örtliche Wanderverein hat ihn jüngst hinausgeworfen. Dafür aber hat er sich mittlerweile zum Star der rechtsextremen Szene gemausert, gerade weil inzwischen alle seiner Äußerungen für staatliche Maßnahmen und entsprechende Presseöffentlichkeit gut sind.

Am letzten Dienstag fand in Karlsruhe die rund einstündige mündliche Verhandlung statt. Dabei beantragte die Bundesanwaltschaft die Aufhebung der Bewährungsstrafe, weil angenommen werden müsse, daß den Richtern der „Blick für einen tat- und schuldangemessenen Strafausspruch verstellt“ gewesen sei. Die Verteidigung forderte dagegen eine Einstellung des Verfahrens, da sie wegen des internationalen Drucks kein faires Verfahren mehr für möglich halten würde.