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Grauer Frust im roten Boot?

■ Natürlich nicht!, bilanzieren die beiden „unabhängigen“ Senatoren Rittershaus und Hardraht nach ihrem ersten Amtsjahr / Eine nicht ganz so positive Nachlese Von Uli Exner

er Wirtschaftssenator gerät ins Schwärmen. „Konstruktiv, lösungsorientiert, erfolgreich“. „Die Kooperation hat in nur zwölf Monaten ein wirkliches Umdenken in vielen Köpfen in Hamburg erreicht.“ „Altenwerder, Gewerbeflächen, das Postfrachtzentrum, 300 Arbeitsplätze bei der Lufthansa! – Das nenne ich eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik!“ Einfach Klasse, dieser Senat. „Und erst der Bürgermeister!“

Erhard Rittershaus bekommt keine roten Ohren, wenn er so redet. Der 63jährige frühere Vorstandsvorsitzende der BAT-Zigarettenfabriken glaubt fest an das, was er sagt. Besser: Er glaubt fest, an das glauben zu müssen, was er sagen zu müssen glaubt. Täglich ein Kanister Schmieröl für den internen Verdrängungsmechanismus.

Der versagt frühestens nach drei Tagen Haushaltsdebatte: „Sie glauben ja gar nicht, wie anstrengend Demokratie sein kann“, seufzt der Wirtschaftssenator am Ende der Abstimmungen über den Stadtetat 1995. Rittershaus, vor einem Jahr von der Statt Partei als „unabhängiger Fachmann“ ins Hamburger Regierungsdickicht geschickt, weiß wovon er spricht, auch wenn er gar nicht gern darüber redet.

Gerade im Senatsgehege angekommen, prallte der Polit-Novize mit seiner Forderung, das Verkehrsressort wieder der Wirtschaftsbehörde anzugliedern, auf keinen Geringeren als Dauersenator Eugen Wagner. Der hatte die städtischen Verkehrsämter nach kräftigem Tauziehen mit seiner Ex-Rivalin Traute Müller gerade seiner Baubehörde einverleibt – und ließ Rittershaus locker abtropfen.

Es folgten in rascher Folge Karambolagen mit:

-Henning Voscherau, der Rittershaus zum fünften Rad am Wagen degradierte: „Der eigentliche Wirtschaftssenator ist der Bürgermeister“.

-Gerhard Schröder, der Rittershaus den Verkauf der „Altlast“ Hamburger Stahlwerke vermasselte.

-den SPD-Polit-Professionals, die ihn dazu zwangen, haushaltspolitische Taschenspielertricks gegen besseres Wissen als „finanzpolitische Wende“ auszugeben.

-den Tücken der von ihm so sehr gehegten „konsequent auf Wachstum und Beschäftigung ausgerichteten Wirtschaftspolitik“. Obwohl „wir alle Register gezogen haben“, scheitert sein Versuch, die Produktion des „Swatch-Autos“ nach Hamburg zu holen.

-der eigenen Behörde (siehe Kasten), die die verordnete „Schlankheitskur“ nicht mitmachen möchte.

Rittershaus, kommentiert ein Behördenmitarbeiter den Polit-Crash-Kurs seines Chefs, agiere zwar immer mit großem Engagement, zuweilen aber reichlich blauäugig.

laus Hardraht neigt nicht zum Schwa-dronieren. Jubelarien a la „ein sehr großer Erfolg für den Senat“, „eine herausragende Leistung des Senats“, „die Leistungsbilanz des Senats sprengt den Rahmen“ überläßt der parteilose Justizsenator gerne den sozialdemokratischen Haushaltsrednern. Statt dessen eröffnet Hardraht seine Ein-Jahres-Bilanz in dieser Woche vor der Bürgerschaft so: „Mit dem Justizhaushalt 1995 glaube ich einen einigermaßen vertretbaren Kompromiß vorzulegen.“

Das ist, sagen wir, einigermaßen untertrieben. Trotz fehlender Hausmacht darf Hardraht als einer der wenigen Behördenchefs gelten, die aus dem Infight mit Ortwin Runde als klare Sieger hervorgegangen sind. Der Finanzsenator, eifrig bemüht, sich via Haushaltssanierung als Voscherau-Nachfolger zu empfehlen, erließ dem Justizkollegen nach heftigem Clinch 50 Prozent Sparleistung und half anschließend mit, die Spuren des Entgegenkommens zu vertuschen.

Rundes Kotau kommt nicht von ungefähr. Zufalls-Neuzugang Hardraht – er durfte nur aus Sachsen nach Hamburg wechseln, weil die Statt Partei für das von ihr eigentlich bevorzugte Wissenschaftsressort keinen Kandidaten finden konnte – hat sich in kürzester Zeit zum internen Shooting-Star des rotgrauen Senats gemausert.

Mit den SPD-Kollegen Mirow und Wrocklage bildet Hardraht eine Art Brain-Trust, der sich im traditionell von Ressortinteressen, persönlichen Marotten und SPD-Hausmächten dominierten Senatsgehege um filzfreie, bestenfalls sogar konstruktive Problemlösungen müht. Ob Hafenstraße, Haushalt, Verwaltungsreform – kaum ein Problemfall der laufenden Legislaturperiode, an dessen Lösung Hardraht nicht an maßgeblicher Stelle mitkniffelt.

Doch es gibt Indizien dafür, daß sich auch Hardraht in absehbarer Zeit zumindest eine Haushaltspackung Schmieröl kaufen muß. Nicht nur bei den big points, bei denen seine Lösungsansätze – keine Räumung, politische Prioritäten in der Haushaltspolitik, Stärkung der Bezirke – keineswegs den ungeteilten Beifall der roten Senatorenriege finden. Auch in der eigenen Behörde formiert sich Widerstand gegen den Chef. Erste Warnzeichen:

-Hardrahts Forderung, Einwegspritzen an drogenabhängige Gefangene auszuteilen, wird vom Vollzugsapparat abgeblockt.

-Teile der von ihm wegen nachlässiger Ermittlungen gegen Polizeibeamte kritisierten Staatsanwaltschaft mühen sich nach Kräften, dem aufsässigen Vorgesetzten die Grenzen aufzuzeigen.

„Das Imperium schlägt zurück“, faßt ein Hardraht-Vertrauter in Anlehnung an eine taz-Schlagzeile das zusammen, was auf den Justizsenator 1995 zukommen könnte.

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