Bürgerschafts-Gelder für neue Zähne

■ Tiefe Griffe ins Staatssäckel: DVU-Dissidenten beschuldigen sich gegenseitig / Rechnungshof sieht eindeutigen Mißbrauch von Steuergeldern / Bürgerschaft kürzt weitere Auszahlungen

Ein Auto, Gartenmöbel, neue Kleidung für die Frau – sogar die neuen Zähne. Und alles auf Staatsknete, alles von der Bürgerschaft bezahlt. Abgeordnete, die schamlos aus der Staatskasse bedienen. Was sich wie das Drehbuch für einen ziemlich schlechten Politkrimi liest, das stellt sich gerade als ziemlich genaue Beschreibung bremischer Realität heraus. Und wer jetzt auf eine weitere Geschichte aus der schier unendlichen Reihe der DVU-Skandale tippt, der liegt nur knapp daneben. Handelnde Personen sind diesmal die drei DVU-Dissidenten von der National-Konservativen Gruppe (NK), die sich bislang immer als die rechte Saubermännerfraktion dargestellt haben. Das Bild scheint mit der Realität eher wenig gemein zu heben.

Peter Nennstiel von der NK fand am Donnerstag einen Brief in seinem Bürgerschaftsfach, und der hatte sich gewaschen. Die Post kam von seinem NK-Gruppenkollegen Hans Altermann, und der teilte Nennstiel kurz und trocken mit, daß er ab sofort aus der NK ausgeschlossen sei. Alle Briefbögen und Faxgeräte und sonstigen Besitztümer der Abgeordnetengruppe solle er sofort bei seinem Gruppenkollegen Klaus Blome abgeben. Das Gruppenkonto sei ab sofort für Nennstiel gesperrt. Der gleiche Brief gehe an die Bürgerschaftsverwaltung und den Parlamentspräsidenten Dieter Klink.

Die NK fliegt mit einem lauten Knall auseinander. Was war passiert? Seit dem vergangenen Jahr prüft der Landesrechnungshof alle Bürgerschaftsfraktionen. Im Sommer war auch die NK an der Reihe. Und was die Prüfer dort zu Gesicht bekamen, das muß ihnen ziemlich die Sprache verschlagen haben. Noch haben sie keinen endgültigen Prüfbericht vorgelegt, aber schon die ersten vagen Schätzzahlen sprechen für sich: Rund 80 Prozent der 18.000 Mark, die die NK Monat für Monat für ihre Arbeit im Parlament bekommt, seien für mindestens zweifelhafte Zwecke ausgegeben worden, teilte der Rechnungshof dem Bürgerschaftspräsidenten vertraulich mit. Und davon sei der allergrößte Teil derart offensichtlich für private Zwecke ausgegeben worden, daß die obersten Rechnungsprüfer empfahlen, nun die Notbremse zu ziehen. Der Grund ist klar: Im kommenden September ist die Legislaturperiode vorbei, dann wird es erheblich schwieriger, die eventuell veruntreuten Gelder wieder einzutreiben. Also faßte die Parlamentsverwaltung den Beschluß: Bis zur Aufklärung der Vorwürfe werden die Gruppenzuschüsse um eben die 80 Prozent gekürzt. Seit November bekommt die NK nur noch 3.000 Mark im Monat.

Da hat der Rechnungshof eine innerparteiliche Lawine losgetreten. Denn als die drei NK-Abgeordneten bei den Kassenprüfern vorsprachen, um sich die Vorwürfe anzuhören, da war die eine oder andere Geschichte auch neu für den einen oder anderen Abgeordneten. Auch wenn alle drei Dreck am Stecken hatten, am meisten Dreck hatte offensichtlich Peter Nennstiel. Und wie entlastend ist es doch für die anderen, mit dem Finger auf den einen zeigen zu können. Und darüber kam es zum Zerwürfnis.

Hans Altermann ging in die Offensive und plauderte aus dem Nähkästchen. Nennstiel sei bei der NK für die Finanzen zuständig gewesen, erzählt Altermann, und zwar sowohl für die Finanzen der Bürgerschaftgruppe, als auch für die Kassenführung der NK e.V., die die drei Abweichler als Konkurrenztruppe zur DVU gegründet hatten. Bei der Abrechnung der Vereinskasse hätte es schon Schwierigkeiten gegeben, da hätten plötzlich Spenden gefehlt, erzählt Altermann. Aber viel schlimmer sei ja das andere. Die NK hätte die Gruppenzuschüsse aus der Bürgerschaft unter sich aufgeteilt, um die Abrechnung zu erleichtern. Und was Nennstiel nicht alles aus diesem Topf bezahlt hätte: „Gartenstühle zum Beispiel, oder dann hat er seine Frau neu eingekleidet.“ Dem Rechnungshof habe er erzählt, die Kleidung sei reiner Ersatz. Chaoten hätten mit Farbbeuteln geworfen. Altermann: „Das ist doch bloß ein ganz blöder Trick. Der hat sich doch sogar sein neues Gebiß aus der Gruppenkasse finanziert.“ Und schließlich ginge es dabei um Steuergelder.

Ohnehin hätten sich seine Gruppenkollegen über den aufwendigen Lebensstil Nennstiels gewundert: „Zwei Autos, ein Haus auf dem Land, eine Stadtwohnung, zwei Pferde, und alles bei bloß einem kleinen Gehalt plus Diäten. Das geht eigentlich gar nicht.“ Nun glaubt Altermann des Rätsels Lösung gefunden zu haben. „Der hat das alles verjubelt. Und das mache ich nicht mit“, wirft sich Altermann in die Brust. Eine Frage der Glaubwürdigkeit: „Wenn ich andere kritisiere, dann muß ich auch sauber sein.“ Wobei er vergißt, daß auch er selbst im Kreuzfeuer der Rechnungshof-Kritik steht. Altermann hat sich nämlich ein Auto für runde 10.000 Mark angeschafft, und der Rechnungshof ist überhaupt nicht davon überzeugt, ob diese Ausgabe legal war.

Peter Nennstiel seinerseits weist alle Vorwürfe weit von sich: „Blödsinn! Da waren ein paar Geschichten, aber die haben alle betroffen, nicht nur mich.“ Bei jeder einzelnen Frage winkt er ab. An den Geschichten von den Gartenstühlen und der Kleidung für seine Frau und den Zähnen sei rein gar nichts dran. Außerdem könne Altermann ihn gar nicht so mir nichts Dir nichts aus der NK werfen. Da müßte es vorher eine Mitgliederversammlung geben. Aber auch wenn die Altermann folgen wolle, er will sein Mandat behalten. „Ich verstehe auch nicht, warum Hans Altermann das jetzt macht. Mir ist die ganze Sache ziemlich unangenehm.“

Die Geschichte wird vermutlich noch viel unangenehmer. Denn so sehr Nennstiel leugnet, dem Vernehmen nach haben die Prüfer ganz eindeutige Belege gefunden. Da müßte sich Nennstiel anstrengen, eine Erklärung zu finden: Was er wohl im Baumarkt für das Parlament gekauft hat? Jochen Grabler