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Jetset im Mushroomforest

Köche in vegetarischen Restaurants lassen sich häufig Neues einfallen / Für teurere Gerichte aus kontrolliert-biologischem Anbau gibt es kaum Kunden  ■ Von Anja Dilk

Es riecht nach frischgeschnittenem Lauch, Paprika und Knoblauch. Weißer Dampf hängt über dem chromblinkenden Herd. Der junge Koch hinten am Fenster drapiert rechteckige Scheibchen Schafskäse, mit einem Klacks Blattspinat, auf den dünn ausgerollten Teiglappen vor ihm. In der Pfanne zischeln Zwiebeln, bereit für den nächsten Gang. Thomas rückt seine Baseballmütze zurecht und häuft einen Hügel Bulgur auf den weißen Teller. „Die Weizengrütze, ein typisch kurdisches Gericht“, meint sein Kollege Haydar, „ist zur Zeit sehr gefragt, am liebsten mit einer Knoblauch-Joghurtsoße.“

Vor etwa einem Jahr hat Haydar das vegetarische Restaurant mit den rotgetupften Wänden am Lausitzer Platz übernommen. Café V. – das V. steht für vegetarisch. In dem ehemaligen Szenetreff der 68er, erzählt er, gibt es nun vegetarische Küche in türkisch-kurdischer Manier: Minz-Zucchinis mit Gemüsebulgur, Champignons mit Tomatentofu, in einer Hülle gebackenen Gorgonzola.

Daneben gibt es Fischgerichte und Pizze in allen Variationen. Der Renner ist seit einiger Zeit Saitan, eine fasrige Masse aus Eiweiß und Stärke, die aus Weizenmehl gewonnen wird. Sieht aus wie Gulasch, schmeckt – fast – wie Gulasch...ist nur kein Gulasch. Thomas richtet es am liebsten auf Szegediner Art an, mit Kümmel und Paprika.

Bisher geht das Konzept auf: Der Laden hat Erfolg. „Zu uns kommen nicht nur Vegetarier“, schätzt Haydar, „sondern auch viele Leute, die einfach etwas Besonderes essen möchten, das sie zu Hause nicht einfach zubereiten können. Die vegetarische Küche ist nämlich gar nicht langweilig“, wehrt er sich gegen altbekannte Vorurteile: „Es kommt nur auf die Zusammenstellung an.“ Und natürlich spielen auch gesundheitliche Aspekte eine Rolle, wenn die Köche im Café V. ihre Rezepte kreieren: Das Gemüse ist immer frisch, die Kombinationen sind stets ausgewogen.

Vegetarische Gerichte gehören inzwischen auf jede Speisekarte. Gesund leben ist angesagt. Vegetarische Imbisse findet man bald an jeder Straßenecke. Doch vegetarische Restaurants sind noch nicht sehr verbreitet. Weniger als ein Dutzend gibt es in Berlin. Da ist das edle Abendmahl im stilvollen Kronleuchterambiente, wo Verheißungsvolles unter würzigen Namen wie „Der Jetset im Mushroomforest“ zu erhabenen Preisen gereicht wird; da ist das traditionsreiche La Maskera, wo es streng Vegetarisches nach italienischen Rezepten gibt; da ist das Oren in Berlin-Mitte, wo man jüdische Küche ohne Fleisch – aber mit Fisch –, essen kann, oder das rein vegetarische Hakuin und das Restaurant Thürnagel in Kreuzberg. Die Kost ist elaboriert und frisch, am besten Vollwert, versteht sich. Doch die Zutaten kommen nur teilweise aus kontrolliertem biologischem Anbau. „Die Leute sind einfach nicht bereit, soviel zu bezahlen“, erzählt Gerold, Geschäftsführer und Koch im Maskera. Früher gab es dort noch Vollwertkost streng nach den Richtlinien der Professoren Bruker und Kollath. Weder Alkohol noch Zigarettenqualm waren im Restaurant erlaubt. Aus kontrolliert-biologischem Anbau gibt es zwar Bier (schmeckt wie weiches Kölsch), Wein und Sekt (köstlich leicht). Das Mehl kommt von Demeter, die Pizze werden aus Vollkornmehl zubereitet. „Wir haben es versucht, aber die Sachen nur im Bioladen zu kaufen, ist einfach nicht machbar, schon weil die Leute nicht nur das Gemüse der Jahreszeit haben wollen,“ ergänzt Gerold. „Und Vollkornnudeln oder -reis werden praktisch nicht verlangt.“ Angesichts der Konkurrenz kann sich kaum ein vegetarisches Restaurant noch reine Biorohstoffe leisten.

Was in Restaurants Probleme macht, ist in der heimischen Küche schon leichter: Vollwerternährung aus kontrolliert-biologischem Anbau. Zumindest wenn man sich auskennt und etwas Zeit aufwenden möchte. Vielleicht ist das Selbstgezauberte nicht immer ganz so schmackhaft, ganz so exquisit wie im Restaurant. Aber ein Kochkurs, der in die Feinheiten der Vollwertküche einführt, kann da schon weiterhelfen.

Seit 1986 bietet Elke Lenz Kochkurse für Leute an, die gesund schlemmen wollen. Einen Monat lang bietet die ausgebildete Gesundheitsberaterin für vier Abende ein wenig Theorie und ziemlich viel Praxis an. Alternative Speisepläne, schmackhafte Rezepte und vegetarische Restaurantstips gehören auch dazu. Acht bis neun Leute nehmen in der Regel an einem Kurs teil. Gemeinsam kochen und schmurgeln sie ein fünfgängiges Menü, von der Gemüsevorspeise bis zum Vollkornkeks. „Viele Leute kommen aus gesundheitlichen Gründen“, sagt Elke Lenz: „Wegen Allergien zum Beispiel, Neurodermitis oder Dauererkältung.“ Teilnehmern, die aus gesundheitlichen Gründen kein tierisches Eiweiß zu sich nehmen dürfen, bringt die Fünfzigjährige bei, wie sie ihre Ernährung umstellen und doch die Lust am Essen behalten können. Und sie informiert über Grundsätze ausgewogener vegetarischer Vollwerternährung.

Über die gesundheitlichen Vorteile dieser Ernährung besteht inzwischen auch auf wissenschaftlicher Ebene Einigkeit. Kein Wunder, daß auch die AOK und verschiedene andere Krankenkassen inzwischen Vollwertkochkurse anbieten. Die Richtlinien der Vollwerternährung decken sich weitgehend mit den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in Frankfurt. Beide befürworten eine ausgewogene Kost von Vollkornprodukten, Gemüse, Obst und möglichst wenig Fleisch und Zucker. Allerdings gehen die Vertreter der Vollwerternährung noch weiter, wenn sie auch die Umwelt- und Sozialverträglichkeit der Nahrung fordern. Das heißt also: möglichst ausschließlich Produkte aus ökologischer Landwirtschaft, Erzeugnisse regionaler Herkunft und entsprechend der Jahreszeit.

Bei der Vollwerternährung soll die Kost möglichst wenig erhitzt, schonend und mit wenig Fett zubereitet werden. Wer es nicht gewöhnt ist, braucht meist ein wenig, um sich umzustellen. „Doch die meisten schaffen es ohne Schwierigkeiten“, meint Elke Lenz, „und sind überrascht, wie gut gesunde Ernährung schmecken kann.“

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