Pressearbeit

■ "Lipstick On Your Collar", ab Sonntag, 23 Uhr auf West 3

Am 7. Juni 1994 starb der britische Bühnen-, Film- und Fernsehautor Dennis Potter im Alter von 59 Jahren. Todesursache war ein Karzinom, mutmaßlich hervorgerufen durch die Medikamente, die Potter 30 Jahre zuvor von einer arthritischen Schuppenflechte geheilt hatten. Der todbringenden Geschwulst, die seine Bauchspeicheldrüse angriff, hatte Potter einen Namen gegeben: „Rupert“ – nach Rupert Murdoch, dem ihm maßlos verhaßten Medienmogul.

Typisch für Potter, daß er mit dieser Art von Galgenhumor auf seine Krankheit reagierte. Ähnlich hatte er seinerzeit die Psoriasis zu bewältigen versucht. Die Erfahrung hilflosen und schmerzhaften Leidens schlug sich in seinem „The Singing Detective“ nieder, mit dem Potter auch in Deutschland bekannt wurde, derweil seine Kinodrehbücher – darunter „Das wahre Leben der Alice im Wonderland“, „Gorky Park“ und „Track 29“ – nur selten Würdigung fanden.

„The Singing Detective“ ist das Mittelsegment einer Trilogie von Mehrteilern, in der sich Potter der jüngeren britischen Geschichte auf recht eigene Manier widmete. In den Filmen, die die dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre zum Thema haben, kombinierte er bitteren Realismus mit sarkastischen Musical-Nummern, schilderte den Alltag als Kette horrender Erfahrungen, denen zu entgehen seine HeldInnen in schillernden Traumvorstellungen Zuflucht suchten. Unbekümmert verquickte Potter Sex, Tod und Gassenhauer und wurde darob von erbosten Zuschauern beschimpft, von Englands Sittenwächterin Mary Whitehouse auf höchster politischer Ebene angegriffen, von Fay Weldon hingegen als „bester Fernsehspiel-Autor der Welt“ gepriesen. Auf „Pennies From Heaven“ (1978) und „The Singing Detective“ (1988) folgte im Februar 1993 mit „Lipstick On Your Collar“ der Schlußteil des Zyklus. Darin widmete sich Potter den fünfziger Jahren, und wiederum birgt die Geschichte auch autobiographische Elemente. Der Sechsteiler beschreibt eine Phase des Umbruchs: England zur Zeit der Suez-Krise. Die Armee ist in Alarmbereitschaft, nervös verfolgt man aus der Ferne den Funkverkehr und die Presse der Sowjets. Im Kriegsministerium existiert eine Spezialabteilung, der die Bearbeitung und Übersetzung der eingehenden Meldungen obliegt. Zumeist handelt es sich dabei um Banalitäten und Bagatellen; die Arbeit ist weitgehend sinnlos, die Atmosphäre dumpf und vom rigiden Reglement des Militärs geprägt.

Mick Hopper, der nur noch sechs Wochen zu dienen hat und eine Karriere als Rockmusiker anstrebt, vertreibt sich die Zeit mit grotesken Tagträumen, in denen seine Offiziere homoerotisch angehauchte Revuenummern zum besten geben und ein nackter blonder Engel mit dem Urheber der schimärischen Vorstellung kokettiert. Neu im Team ist Hoppers Nachfolger, der Waliser Francis Francis. Mit seinen Kenntnissen russischer Klassiker vermag er hier nicht zu reüssieren. Statt dessen wird er seines täppischen Auftretens wegen zum Gespött der kleinen Gruppe. Vor allem der Schleifer Korporal Berry hat es auf ihn abgesehen.

Zu allem Unglück wohnt Berry im selben Haus wie Francis, der bei den sittenstrengen Verwandten seiner Mutter Quartier bezogen hat. Francis wird unfreiwillig Zeuge, als Pete Berry seine Ehefrau Sylvia mißhandelt. Sylvia, eine Diane Dors der Reihenhäuser, arbeitet als Kino-Platzanweiserin und sieht sich in ihren Träumen selbst auf der Leinwand. Zu ihren Verehrern zählt der Kinoorganist Harold Atterbow, der oft stundenlang in seinem Auto sitzt und Sylvias Fenster anstarrt. Die Verstaatlichung des Suez-Kanals verschärft die politische Situation erheblich. Militäraktionen werden erwogen, und auch im privaten Bereich der Beteiligten kommt es zu dramatischen Ereignissen... Harald Keller