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Smarter Restwitz fad garniert

Nach dem 2:1 über Albanien muß Bundestrainer Vogts befürchten, daß sein Leidensweg ihn bis nach England führen könnte  ■ Aus Kaiserslautern G. Rohrbacher-List

Es ist schon lange her, daß eine deutsche Fußball-Nationalmannschaft großen Wert darauf legte, wie sie ein Spiel gewinnt. Heute – und dies gilt nach dem 2:1 (2:0) gegen Albanien mehr denn je – ist die Hauptsache, daß drei Punkte mehr auf dem Konto stehen und dadurch letztlich die Qualifikation für die Euro'96 in England gelingt. Mit der dazu nötigen Arroganz, repräsentiert durch Thomas Berthold und Ralf Weber, und wenigen Intervallen gelungener Spielkunst, an deren Ende zuweilen das siegbringende Tor steht, schippert der DFB unbeirrt aller Widrigkeiten à la WM in Richtung Insel. Wie lange Berti Vogts allerdings das seelenlose Gekicke seiner Minimalisten noch überstehen mag, ohne seelischen Schaden zu nehmen, ist ungewiß. Am Sonntagabend hat man in der Pressekonferenz einen total deprimierten, todunglücklichen Bundestrainer erleben müssen, tief getroffen und etwas hilflos. Weihnachten in Korschenbroich hat sich Berti sicher anders vorgestellt. Nach dem glatten 3:0-Sieg in Moldawien sollte jedenfalls ein „Fußballfest auf dem Betzenberg“ (DFB-Pressechef Niersbach) das so ungünstig verlaufene Jahr beschließen.

Da hatte sich alles bereitwillig in Harmonie geübt, bis dann Thomas Berthold für den suspendierten Stefan Effenberg und den ausgebooteten Mario Basler im Spiegel rhetorisch in die Bresche sprang. „Zu verbissen“ sei Berti Vogts, ließ der Frankfurter Bankierssohn verlauten, die Stimmung außerdem nicht so gut, wie viele sie gerne hätten. Doch für den Harmoniemenschen Vogts ist auch dies kein Grund, aus der Haut zu fahren. Schon gar nicht am vierten Advent. Konsequenzen für Berthold? „Wir sollten uns vor Weihnachten damit gar nicht beschäftigen.“ Am liebsten hätte Vogts sich verkrümelt, denn die Fragen, die auf ihn einprasselten, waren ihm sichtlich unangenehm. Ob die Spieler das Lob nach dem Spiel in Moldawien nicht vertragen hätten? „Die Spieler kommen nachher hierher, stellen Sie die Frage bitte ihnen!“ Womit Berti Vogts seine Ohnmacht dokumentierte. Seine Weltuntergangsmimik und das smarte Lächeln des Vielschwätzers Lothar Matthäus repräsentieren zwei konträre Welten. Hier der gedemütigte Bundestrainer, der als Spieler einst alles gab, dort Matthäus, dem auch nach solch magerer Zweithalbzeitskost sein Restwitz nicht abhanden kommt. Erst Glückwunsch an den Kunstschützen Altin Rraklli, dann eine flapsige Bemerkung, die Vogts schon gar nicht mehr mitbekam. „Besser heute gegen uns“, fand nämlich Matthäus, „als nächstes Jahr gegen Bayern!“

Altin Rraklli, der Freiburger bei Albanien, war jedenfalls der einzige, der an diesem Abend rundum zufrieden war. Unhaltbar für Andreas Köpke verkürzte er in der 58. Minute auf 1:2. Es war sein erstes Tor in diesem Jahr überhaupt. Da saß also einer, der nun wieder an sich glaubt. Local hero Stefan Kuntz dagegen schaute griesgrämig drein. Der Lauterer kam just ins Spiel, als Rraklli sein Tor erzielt hatte, und geriet in die schwächste Phase seiner Elf. Dabei spielten die Deutschen in der zweiten Halbzeit auf die Westkurve zu, von der gewöhnlich größte Stimulanz auf die Spieler überzugreifen pflegt. Doch die Westkurve war nicht präsent: Zerstört war sie, zu Sitzplätzen degradiert. Keine Sprechchöre, keine durchdringenden Anfeuerungen – alle saßen, und keiner durfte stehen. So fehlte der Mannschaft der finale Schub nach vorne. Doch – so oder so – Bertis Wohlstandsjünglinge werden sich qualifizieren, stolz darauf sein und voller Hoffnungen im Juni 1996 nach England fahren. Schlechte Aussichten für Berti Vogts: Kommt es, wie es kommen muß, kann sein langer Leidensweg frühestens dann ein Ende finden.

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