Das Geld liegt auf der Schiene

Die Bundesländer und die privatisierte Bundesbahn streiten um die künftigen Pfründe des öffentlichen Personennahverkehrs  ■ Aus Hamburg Florian Marten

Das Stiefkind verdient sich eine goldene Nase. Am 1. Januar beginnt auf Deutschlands Schienen und Straßen ein neues Zeitalter. Wer mal richtig Geld verdienen möchte, sollte zugreifen – mit einer privaten Eisenbahngesellschaft. Der Staat garantiert die Preise, es winken Profitraten wie sonst nur in der Rüstungsindustrie.

Noch aber stinkt es nach Plastik und Dosenbier von Soldaten. Pünktlichkeit ist Zufall, und die Klos sind verdreckt: Die klassischen Nahverkehrszüge der Deutschen Bundesbahn, zumal die berüchtigten Silberlinge entsprechen den bösartigsten Klischees der Autofahrer. Auch wenn so geheimnisvolle Dinge wie der „beschleunigte Personenzug“ abgeschafft sind, noch ist der „Schienenpersonennahverkehr“ (SPNV), wie es im Bahndeutsch heißt, ein Synonym für Beförderungselend und öffentliches Defizit.

Doch gerade hier schlummern Rationalisierungs- und Gewinnpotentiale. Zum einen, weil die Bundesbahn ihren Nahverkehr bislang ausgesprochen unwirtschaftlich fährt, zum anderen weil sie auch noch falsch rechnet. Thilo Sarrazin, einst im Bundesfinanzministerium für die Bahnabrechnungen zuständig, heute Wirtschaftsminister in Rheinland Pfalz, sieht die angeblichen SPNV-Kosten der Bahn „um 30 bis 40 Prozent überhöht“.

Und tatsächlich: Gegenwärtig zahlt die Bundesregierung der privatisierten Deutschen Bahn AG jährlich 7,9 Milliarden Mark Zuschuß, damit sie den SPNV auf dem bisherigen Niveau aufrechterhält. Eine wahre Goldgrube: Wenn in der Silvesternacht die Zuständigkeit für den SPNV endgültig vom Bund auf Länder und Kommunen übergeht, treten mit mehrjähriger Verspätung endlich auch in Deutschland die EU-Richtlinien für den Verkehrsmarkt in Kraft. Niemand darf dann mehr gezwungen werden, mit unwirtschaftlichen Strecken Verluste einzufahren. Wenn Bundesländer, Landkreise und Kommunen Verkehrsangebote wollen, die sich nicht rechnen, dann müssen sie selbst dafür bezahlen. Dafür dürfen sie ihre Partner aber auch selber suchen – wenn sie denn welche finden.

Doch meistens sitzt die alte Bahn schon wieder am Tisch. Der gewollte Marktkonflikt würde zwar den deutschen Nahverkehr revolutionieren. Bislang steht jedoch nur eine Gruppe von Gewinnern fest: Die Verkehrsunternehmen, allen voran die Deutsche Bundesbahn. Der riesigen Markt des öffentlichen Nahverkehrs – allein die Bahn fährt über 90 Prozent der Beförderten im SPNV – wird zum Paradies staatlicher Vollkostenpreise, und Heinz Dürrs Unternehmen setzt alles daran, die alte Monopolstellung zu halten.

Plötzlich wird der Nahverkehr gehätschelt: Riesenbestellungen für neue S-Bahn-Züge, bunter Lack für die alten, Ansätze für vernünftige Fahrpläne, zum Beispiel Taktverkehr in Schleswig-Holstein und im Allgäu. Und sogar die Bahnbusse, die vor gut einem Jahr auf der Verkaufsliste der DB noch ganz oben standen, sind Schätze geworden, auf deren Besitz die Bahn keinesfalls verzichten will.

Auf der anderen Seite stehen die Bundesländer, die sich in den nächsten Monaten blitzschnell zu Einkäufern im López-Format mausern müßten. Tatsächlich fehlt ihnen dafür das Kow-how. Klaus Nötzold, Chef des DB-Nahverkehrs in Schleswig-Holstein, räumt immerhin ein: „Die 7,9 Milliarden Mark des Bundes reichen derzeit ja aus, um den SPNV der Bahn in der unwirtschaftlichen Betriebsweise einer Behörde voll aufrechtzuerhalten. Wenn wir jetzt besser arbeiten, dann muß für das gleiche Geld mehr Schienennahverkehr herauskommen.“

Können die Bundesländer also die Preise drücken? Sarrazin antwortet mit einem uneingeschränkten Ja. Der Insider warnt aber vor den Zockermethoden der Bahn. Die heutigen 7,9 Milliarden Zuschuß beruhen auf einem simplen Trick: Die Betriebsleistungen nach Zugkilometern werden schlicht auf die Gesamtkosten der Bahn umgelegt. Ein betriebswirtschaftlich völlig unzulässiges Verfahren: Ein billiger Triebwagen auf einer wartungsarmen Nebenstrecke kostet damit pro Kilometer soviel wie ein ICE, der durch einen Hochgeschwindigkeitstunnel flitzt.

Sarrazins Fazit: „Auf diese Art wurde und wird der Hochgeschwindigkeitsverkehr wie der gesamte Fernverkehr tendenziell reichgerechnet. Gegenwärtig enthält das Nahverkehrsdefizit der Bahn Deckungsbeiträge für die übrigen Unternehmensteile in Milliardenhöhe, die nicht durch tatsächliche Kosten veranlaßt sind.“

Diese Milliarden möchte die Bahn natürlich gerne behalten. Und deshalb, so schimpft Sarrazin, taktiert die Bahn bei ihren Verhandlungen mit den Ländern, wo immer es nur geht: Sie verweigert den Einblick in ihre eigenen weit realistischeren Kostenrechnungen, sie versucht, ihre Leistungen im Paket zu alten Preise loszuschlagen, sie versucht mit überhöhten Preisen für die Benutzung der Bahntrassen, Konkurrenzunternehmen von der Schiene fernzuhalten. Das Bundesland Hamburg ist betreits über den Tisch gezogen worden. Bürgermeister Henning Voscherau und sein Verkehrssenator ließen wehklagend ihre Bereitschaft erkennen, 1995 noch mehr als bisher zu bezahlen. Andere Bundesländer halten dagegen, angeführt von Rheinland-Pfalz und Bayern. Schon ließ die Bahn durchblicken, daß sie ihre Trassenpreise für den Nahverkehr von 8,50 Mark pro Zugkilometer auf 5 Mark ermäßigen wird.

Wie günstig und effektiv Nahverkehr auf der Schiene sein kann, haben kleine Privatbahnen bewiesen. Zum Beispiel am Bodensee: Als die Bundesbahn den Verkehr auf der Strecke Friedrichshafen– Ravensburg immer weiter ausdünnte und Haltestellen schloß, gründeten die Landkreise eine GmbH, kauften Züge, setzten Haltestellen instand und beauftragten die private Hohezollernbahn mit der Betriebsführung der „Bodensee-Schwaben-Bahn“ (BOB). Die Fahrgastzahlen stiegen um 50 Prozent, auch das finanzielle Ergebnis übertraf alle Erwartungen.