: Eintreten! Vorteile ausschöpfen!
■ Mit Kafka bei „Möbel Meyerhoff“: Ein Rundgang durch den ganz normalen Irrsinn, zwischen Neuer Romantik und Echtholz-Fronten/ „Schlafen! Träumen! Wenn nicht hier, wo denn sonst?“
Kraniche ziehen über Osterholz-Scharmbeck hianus aufs Teufelsmoor. In den Pfützen vor dem Möbehaus Meyerhoff spiegelt sich das Möbelhaus Meyerhoff. Ist es Wirklichkeit? Ist es der sanfte Traum ländlicher Bürgerseelen? Ist es ein Märchenpalast der in klammen Wohnhöhlen keimenden Sehnsüchte? Aus einem Meyerhoff-Katalog: „Schlafen! Vielleicht auch träumen! Ja, wenn nicht hier, wo denn sonst?“
Der Wachmann am Eingang vom Möbelhaus Meyerhoff nimmt seine dunkelblaue Mütze ab, stützt sich auf eine Kommode aus dem Kommodenprogramm „Mittenwald“ (Eiche rustikal) und schaut aus dem Schaufenster nach draußen. Eine frische Dauerwelle wälzt sich aus einem Nissan Cherry und tippelt winterbemantelt zum gläsernen Portal.
„Buche ist ein ruhiges Holz“. Der Verkäufer will einem lodenumhüllten Rentnerpaar Möbel verkaufen. Die Lodenfrau wiegt den Kopf. Überall bei Meyerhoff wollen Verkäufer etwas an Leute verkaufen, die nachdenklich den Kopf wiegen. Bei der Auslegeware tasten beflissene Käuferinnen den Flor ab. Beim Schlafraum-Programm „Weimar“ („Traum von Wärme und Geborgenheit mit gefälligen Fronten in Echtholz-Furnier“) prüfen sie die Matratzen-Qualität. „Mein Mann hat's mit der Bandscheibe.“ In der Trennwand-Systeme-Abteilung muß ein Kind brechen und wird nach draußen geführt. Jetzt kann es beim „Meyerhoff-Rotkäppchen-Preisrätsel“ nicht mehr mitmachen: „Raten sollt Ihr - schaut mal her, jetzt löst die Frage, gar nicht schwer.“
Ein junges Paar sitzt, von grüblerischer Schwermut niedergezwungen, mitten in den Voglauer Bauernmöbeln und studiert das „umfangreiche Eckbankprogramm“. „Die Voglauer Wohnprogramme bringen den Menschen Freude, Romatik und Geborgenheit ins Heim“, zudem „Stimmung, Freude & Gemütlichkeit“. Und „Den Himmel auf Erden“.
Bei Meyerhoff sind gerade „Polsterwochen“. „Nie zuvor war Top-Komfort so enorm vielseitig“. „Haut-an-Haut-Gefühl kennzeichnet das Rein-Anilinleder Biolike“ beim Polster-Programm „Ascot“. „Hier sind auch die vielen Singles tolle Typen“.
„Angenehm weich sind moderne Familien-Strapazierstoffe“. Eine Dame mit Hut sagt zu einer Dame ohne Hut, daß das Nikotin den Möbeln schadet. Die Dame ohne Hut sagt, daß ihr Mann sowieso nur auf dem Balkon rauchen darf.
In der Radio-Werbung wünscht die Chefin des Möbelhauses Meyerhoff oft einen guten Tag. Wer ist eigentlich die Chefin des Möbelhauses Meyerhoff? Auf dem „Meyerhoff-Club-Journal“ („Eintreten! Mitmachen! Vorteile ausschöpfen!“) ist sie zusammen mit dem Chef des Möbelhauses Meyerhoff abgebildet. Die Chefin heißt Inge Küster. Sie sieht aus wie die russische Kugelstoßerin Tamara Press nach dem Erreichen des undankbaren vierten Platzes. Herr Küster ist sogar zweimal abgebildet. Er sieht aus wie der Scheidungsanwalt von Roland Kaiser. Wahrscheinlich sind beide sehr nett. Denn sie haben „für die Kunden schon viel erreicht, was menschlich verbindet“. Auch „in puncto Gemeinsinn“ und im „verstärkten Gedankenaustausch“. Auf dem „Club-Journal“ sind sechs fröhliche junge Menschen abgebildet. Sie stehen um ein Fahrrad herum. Einer lacht ganz doll. Er hält ein Stöckchen in der Hand. An dem Stöckchen ist ein Stück Pappe aufgeklebt. Darauf steht „Start“.
Hinten auf dem „Club-Journal“ zeigt ein Marienkäfer auf das „Meyerhoff-Club Service-Scheckheft“. Der Marienkäfer hat ein schwarzes Hütchen auf. Er lächelt. Unter einer sehr großen Nase kommt ein Schnurrbart hervor, der aussieht wie zwei Schweineschwänzchen. Auf dem Rücken hat er einen Propeller. Wo bei Meyerhoff das O ist, sieht man immer einen Marienkäfer. Er sieht traurig aus. Als habe man gerade seinen Asylantrag abgelehnt.
Überall bei Meyerhoff sitzen Menschen über Kataloge gebeugt. In den Katalogen sind Menschen abgebildet, die über Kataloge gebeugt sind. Ein Rentner mit sportlicher Brille hält einen orangefarbenen Klappstuhl in der Hand. Ihm gegenüber steht eine Rentnerin mit frischer Dauerwelle und einer sportlichen Brille. Sie ist im Stehen über einen Katalog gebeugt.
Doppelbett Kreta. „Erinnerungen an klassische, immer gültige Formen alter Kulturen werden beim Anblick dieses Bettes wach. Geschweifte Elemente verbinden die Bettpfosten elegant.“ Nikolas. „Ein aktuelles Studio-Programm für junges Wohnen, das alles hat, was junge Leute mögen. Nikolas bekommen Sie in Astkiefer-Nachbildung oder in Esche-Nachbildung hellgrau.“
Ein Brief im Katalog der Voglauer-Wohnprogramme: „Mein Sekretär, jetzt schreib ich dir. Ich habe einen stillen Freund. Ihm kann ich alles anvertrauen. Behütet sind die großen und kleinen Geheimnisse.“ „Stützende Formschäume“. „Füße auch in Buche hell“. „Gefühlsbetonte neue Romantik“. „Ein Klasse-Federkern ist das Herzstück des Komforts“. „Platzsparende Sitzecken“. „Vliesmatten-Bauschfestigkeit“. „Echte Luftzellen-Stäbchen“. „Gütetest mit 20.000 Scheuerbewegungen“. „Nosag-Unterfedern“. Und nicht vergessen: „Alle Maße sind Ca.-Maße. Die Polstermöbel-Skizzen sind Symbole“.
Zuviel geschaut. Zuviel gesehen. Es ist spät geworden. Und stiller im Möbelhaus Meyerhoff. In einer dunklen Ecke steht „Napoli“, das „vielseitige Verwandlungssofa“. Franz Kafka sitzt dort, über einen Katalog gebeugt und studiert das „Maxi-Schlafsystem zum lockeren Relaxen“. Ich spähe besorgt zu dem Wachmann am Eingang. Noch hat der ihn nicht entdeckt. Bei Gefahr wird sich Kafka hoffentlich in einen Meyerhoff-Marienkäfer verwandeln. Lutz Wetzel
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