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Wer zahlt, muß gelobt werden

Neue Strategie gegen rot-grüne Koalitionen: Betreiber von Atomkraftwerken verklagen Landesregierungen dafür, daß sie ihnen kritische Gutachten in Rechnung gestellt haben  ■ Von Felix Berth

Berlin (taz) – Die Konzerne der Atomindustrie haben ein neues Mittel gegen unbequeme Genehmigungsbehörden in den Ländern entdeckt. Neuerdings versuchen sie, Atomexperten von kritischen Umweltinstituten mit Gerichtsprozessen aus dem Geschäft zu drängen. In Niedersachsen kam die PreussenElektra damit recht weit. Ein Gutachten der „Gruppe Ökologie“ zur Sicherheit des AKWs Stade wurde vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg als nicht zumutbar angesehen. Deswegen muß das Land dafür 2,3 Millionen Mark an die Veba-Tochter zurückzahlen – soviel hatten die Atomkritiker den AKW-Betreibern in Rechnung gestellt.

In Baden-Württemberg beginnt heute ein ähnlicher Prozeß. Dort geht es um ein Gutachten des Öko- Instituts zum AKW Obrigheim. Die Betreiber klagen gegen das Land Baden-Württemberg, das die Untersuchung in Auftrag gegeben und den Badenwerken die Rechnung geschickt hatte. Falsche Adresse, finden auch hier die Atomkraftwerker. Denn das Öko- Institut habe schon einmal ein Gutachten über Obrigheim verfaßt, damals aber für die Fraktion der Grünen im Landtag von Baden- Württemberg. „Unsere Gegner beklagen uns seit zwanzig Jahren; wir haben uns bisher eher zurückgehalten“, rechtfertigt der Sprecher der Badenwerke, Lutz Fleischer, den Prozeß gegen das Land.

Wer also muß kritische Gutachten bezahlen, wenn es um atomrechtliche Fragen geht? Die Umweltministerien von Niedersachsen und Baden-Württemberg argumentieren mit dem Verursacherprinzip. Natürlich habe der Betreiber eines AKW die Gutachterkosten zu tragen, weil er die Sicherheit seiner Anlage nachweisen muß. „Jeder Bürger muß den TÜV für sein Auto zahlen; das gleiche gilt natürlich bei einem Kernkraftwerk“, sagt der Sprecher des baden-württembergischen Umweltministeriums.

Als die Landesregierungen noch atomfreundliche Gutachten in Auftrag gaben, hatten die Betreiber der AKWs auch nichts dagegen. Erst seit aber rote oder rot- grüne Landesregierungen immer häufiger auch andere, distanzierte Gutachter beauftragen, magt die Atomindustrie nicht mehr für gute Zusammenarbeit bezahlen. Die Argumente sind immer dieselben. Die Atomfirmen bezweifeln, daß kritische Gutachter unbefangen seien und behaupten, deren Untersuchungen seien überflüssig, weil bereits ein Gutachten zum gleichen Thema vorliege.

Die Strategie rechnet mit den notorisch leern Landeskassen und zeigt deshalb erste Wirkungen. Landesregierungen werden sich überlegen, Atomkritiker mit Untersuchungen zu beauftragen, befürchtet man im Umweltministerium von Niedersachsen. „Wenn das Gerichtsurteil von Lüneburg Bestand hat, kegelt das die kritischen Gutachter raus“, prophezeit Monika Griefahns Sprecherin Eva-Maria Rexing.

Deshalb überlegt das Ministerium zur Zeit, ob der Prozeß um das Stade-Gutachten in der nächsten Instanz weitergeführt werden soll. In Baden-Württemberg hofft das Ministerium noch auf Einsicht schon in der ersten Instanz. „Es kann doch wohl nicht sein, daß die Betreiber eines Kernkraftwerks sich ihre Gutachter selbst aussuchen“, meint der Sprecher des Atomministers Harald Schäfer.

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