: Eine ganz andere Art von Schönheit
■ Zur Premiere der „Bremer Freiheit“ im Bremer Theater: Ein Gespräch mit der Komponistin Adriana Hölszky
Heute abend hat Adriana Hölszkys „Bremer Freiheit“ im Theater am Goetheplatz Premiere. Das 1987 im Auftrag der Münchener Musikbiennale entstandene „Singwerk auf ein Frauenleben“ – das Leben der 1831 in Bremen enthaupteten Giftmörderin Gesche Gottfried – entstand nach dem Text von Rainer Werner Fassbinder und wurde im selben Jahr an der Stuttgarter Staatsoper uraufgeführt.
taz: Ihre deutschstämmige Familie ist 1977 aus Rumänien nach Deutschland gekommen. Hat die rumänische Musik Einfluß auf ihr Komponieren?
Adriana Hölszky: Nicht direkt, als Zitate, aber sicher schon im Hinblick auf Klangfarbe, auf eine Einheit zwischen sehr verschiedenen Bereichen.
Sie haben in allen Gattungen geschrieben. Es gibt bei Ihnen Tragik und Komik, Poetik und Skurrilität, Politisches und Privates. Zeichnet sich mit zunehmender Erfahrung nun doch eine Linie ab?
Nein. Mir geht es immer um Vieldeutigkeit und Mehrdeutigkeit. Ich möchte immer mehr herausholen, was möglich ist und dem Hörer viele Offenheiten für seine Interpretation lassen.
Wie finden Sie eine Form, von was hängt sie ab? Gibt es außermusikalische Einflüsse? Gibt es mathematische Proportionen?
Das spielt alles keine Rolle, es geht nur um das, was sich in dieser Form entwickelt. Es geht um Klangfarbe, um Raum, um Überlagerung von Schichten und somit um Komplexität. Die Planung allein bedeutet noch nichts ....
Es gibt in Ihren Stücken Kinderspielzeug, oder, wie in „Message“, Gläser. Offensichtlich sind Sie gänzlich unabhängig von traditionellen Instrumenten. Bezwecken Sie damit auch eine musikästhetische Aussage?
Nein, andersherum: es ging mir in dem Fall um Zerbrechlichkeit und Transparenz, und da komme ich notwendig zum Glas. Das gibt die klangliche, aber auch die strukturelle Vorstellung. Ich möchte immer eine Welt dahinter hörbar machen, eine Welt außerhalb unserer Sinne.
Gesche Gottfried, die Mörderin von sieben Männern und Frauen, die auch Opfer ist. Auf Täter-Opfer-Dialektik wollen Sie ja hinweisen. Wie hat dieses konkrete Ansinnen die konkrete kompositorische Form gegeben?
Auf den Text traf ich erst lange nach der musikalischen Materialsuche. Ich wollte neue Sachen ausprobieren,.Ich wollte Klangwanderungen. Die Handlung in „Bremer Freiheit“ ist ja keine. Die Figuren sind Kräfte, die aufeinanderprallen. Gesche ist sozusagen die Quintessenz dieser Konstellationen, sie verändert sich dauernd, sie wird von anderen Kräften bombadiert. Und das gebiert dann die rein musikalischen Formprobleme, die mich interessierten. Ich komme dann rein formal auf die Stille als Folge aus der Übersteigerung der psychischen Spannung der Gesche. Der Text selbst gibt dann noch neue Dimensionen, er hat eine assoziative Funktion.
Was also kann Musik in diesem Fall?
Die Komplexität der Gesellschaft ist durch Musik einfach besser zu begreifen. Es ist nicht alles so einfach und so eindeutig, und Musik kann ausdrücken, was unsagbar ist.
Wie ist das denn eigentlich, wenn Sie Ihr Stück nun sechs Jahre nach der Komposition wiedertreffen?
Da ist Distanz und vor allem die Überzeugung, daß das Stück jetzt anderen gehört. Ob man die Gesche zum Beispiel cool oder mit Pathos inszeniert, ich mische mich da nicht ein, das ist ein anderer Beruf. Begabte Interpreten kommen oft mit einem Blickwinkel, den ich selbst gar nicht kannte. Diese Verkrampftheit, immer Recht zu haben. Viel schöner ist die Chance, daß neue Dimensionen entstehen. Da gucke ich zu.
Von was werden Sie denn inspiriert?
Sicher nicht von Musik, ich gehe ganz selten in Konzerte. Ich mag Cage, Varèse, Nono, aber mich interessiert die klangliche Plastik, keinesfalls ein kompositorisches System. Interessant ist nur die Musik, die noch nicht geschrieben ist. Nein, ich beobachte eher Politik und höre dem Leben zu.
Schließlich noch die Standardfrage: Was kann denn Musik bewirken und erreichen? Worauf führen Sie persönlich das Desinteresse an Neuer Musik zurück, die ja doch – philosophisch gesehen – am Nerv der Zeit ist?
Das sind unsere gesellschaftlichen Strukturen, eine Kette schrecklicher und falscher Vorinformationen, das ist der Typus von Konsummusik, der uns umgibt. Das fängt in der Früherziehung an: welche Kinder können denn mit Klang spielerisch experimentieren, wo lernen sie hören, daß experimenteller Klang eine ganz andere Art von Schönheit sein kann? Dann unsere Hochschulausbildungen, unsere Konzertprogramme.... die Leute merken nur nicht, daß sie die alte Musik noch weniger verstehen, weil Sie sich an der Tonalität festhalten können.
Fragen: Ute Schalz-Laurenze
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