Alles auf eine Karte gesetzt

■ Eine neue Sicht der Welt: Der Bremer Historiker Arno Peters streitet für seine paritätische Weltkarte/ Gespräche auf „Arte“

Jeden Abend das gleiche Spektakel: Die Fanfare erschallt, das „Tagesschau“-Logo fliegt herein, dahinter eine Weltkarte: Schön dick und breit prangt Europa in der Mitte, mit Deutschland als Herz der Welt. In Frankreich sieht die Welt derweil ganz anders aus. Seit 1981 bietet das Fernsehen seinem Publikum eine weniger eurozentristische Weltsicht: Die „Peterskarte“ dient den Franzosen als Hintergrund für die Nachrichten aus aller Welt. Eine Karte, die andere Maßstäbe setzt, in der die „Dritte Welt“ ins Zentrum rückt, und die aus Deutschland kommt. Der in Bremen lebende Historiker und Kartograf Arno Peters entwarf sie in den frühen 70er Jahren. Der Streit um die adäquate Flächendarstellung des Erdballs aber dauert an. Über 18 Millionen Exemplare wurden bisher in der halben Welt verkauft. Jetzt widmet der deutsch-französische Kultursender „Arte“ Arno Peters eine dreiteilige Sendung. Bei der Vorstellung der Reihe, gestern im Bremer „Institut Francais“, kam es prompt zu neuen, heftigen Diskussionen um Peters' Werk.

Was Peters nämlich seit Jahrzehnten proklamiert – eine „paritätische Darstellung aller Kulturen“ – stößt nach wie vor auf meßtechnische Einwände. Die besondere „Flächentreue“ der Peterskarte sei nämlich um den Preis „einer ungeheuren Verzerrung“ erreicht wirden – so der Vorwurf eines von der Essener Ruhr-Universität angereisten Kartografen. Daß die Länder sich seit jeher selbst ins Zentrum der Weltgeschichte rücken, sei „selbstverständlich“. Durch Peters' Betonung der „Dritten Welt“ würden „Mißverhältnisse nicht beseitigt, sondern eher verschleiert“.

Solche Anwürfe ist Peters freilich gewohnt. Sie kommen für ihn aus der Ecke der „Schulkartografie“. Und die beruhe eben „im Wesentlichen auf Mythen“. Mit denen will Peters brechen: Die alte „Mercator“-Karte und ihre zahlreichen Nachfolger, wie wir sie heute in den deutschen TV-Nachrichten vorgehalten bekommen, seien schließlich aus den Ansichten und Ansprüchen der ehemaligen Seehandels-Nationen entstanden. „Aber heute fährt kein Schiff mehr nur nach dem Kompaß“ von Kontinent zu Kontinent, sagt Peters. Und so wäre der Weg frei für andere Maßstäbe.

Neben der Karte ist inzwischen ein ganzer Weltatlas entstanden, sämtliche Blätter der Petersprojektion folgend. „Da ist Deutschland natürlich nur auf einer einzigen Seite zu finden“, sagt Peters. Der Schweizer Verleger fand die Idee dennoch großartig – aber ob man denn nicht ein Extrablatt einlegen könnte, nur mit der Karte der Schweiz drauf...?

Und schließlich kam in diesem Jahr Peters' umsrtittenes Geschichtsbuch, die „Synchronoptische Weltgeschichte“, in einer Neuauflage auf den Markt. In einer alle Zeiten durchlaufenden Tabelle sind dort Namen und Geschichten aus allen Kulturen aufgeschrieben – gerade aus jenen, die in den handelsüblichen geschichtsbüchern vernachlässigt werden. Als das Werk 1952 in Deutschland auf den Markt kam, sahen es die Konservativen mit Argwohn: Peters' neues Weltbild wurde als „KP-Schrift“ verschrien und als ideologisches Machwerk abgetan. Die Rezeption hat sich auch in Deutschland allmählich gewandelt, sagt Peters. In diesem Jahr erhielt er in Bremen den Kulturpreis der Villa Ichon für seine Weit- und Weltsicht. Etwas, das auch die französischen Kollegen von Peters beeindruckte. Jean-Christophe Victor, Autor der „Arte“-Reihe mit dem symbolkräftigen Titel „Mit offenen Karten“, ist selbst an geopolitischen Untersuchungen beteiligt. Sein Gespräch mit Peters markiert nicht nur den vierten Jahrestag der Fernsehreihe: Die „Peterskarte“ wird, ebenso symbolträchtig, auch zum 400. Geburtstag der alten „Mercatorkarte“ vorgestellt. tom

„Mit offenen Karten“ – Gespräche mit Arno Peters; ab 4. Januar 1995 jeweils Mittwoch um 20.20 Uhr sowie Samstag um 19.35 Uhr auf „Arte“