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Kein Grund zur reformistischen Besorgnis

■ betr.: „Essener Polizeikessel- Rekord“, „Staatsbürgerkunde mit Knüppel“, taz vom 12.12.94

Aber, aber, jetzt brecht mal nicht gleich in Panik aus: der Essener Kesselrekord würde unzufriedene Jugendliche in die „linksradikalen Fundamentalisten“-Arme treiben, und das sei schlecht für die Demokratie. Kein Grund zur reformistischen Besorgnis, denn: der Kommentator irrt!

Und das gleich doppelt. Der aufklärerisch-vermessene Ansatz, dem kapitalistischen System die Maske zu entreißen, seine Fratze offenzulegen und dadurch eine Radikalisierung von irgend jemandem („revolutionäres Subjekt“ genannt) zu erreichen, ist ja nicht erst einmal auf das hämische Grinsen der Fratze und die verblendeten Augen der Zielgruppe gestoßen. Die Entrissenheitsreliquien dürften inzwischen eine stattliche, aber wertlose weil übervolle Trophäensammlung ausmachen. Und weder Kapitalismus noch Patriarchat sind gestolpert, geschweige denn gestürzt. Daß die Tragik der RevoluzzerInnen Euch heute wieder Angst macht, wer hätte das gedacht.

Außerdem ist die Rede vom „irregeleiteten Jugendlichen“, die in den Rachen irgendwelcher monströser ExtremistInnenbanden gesogen werden und nur von der vereinigten Kraft „aller Demokraten“ geschützt werden können, nach wie vor ein albernes Märchen. So wie sich da alle Kids, die in Plattenbauten wohnen, die Schädel rasieren, ziehen sich massenunigeschädigte Halbintellektuelle schwarze Masken über den Kopf, und die Moral von der Geschicht: trau den Extremisten nicht!

Das Demonstrationsverbot ist ja nur ein einziger, wenn auch zukunftsweisender Indikator für das Demokratieverständnis der EU. Den festgehaltenen KurdInnen – das stand bei Euch nicht – droht, nach Angaben der VeranstalterInnen, die Abschiebung. Bleibt wirklich zu hoffen, der Kommentator hätte doch irgendwie recht, das „Europäische Haus“ würde einstürzen beziehungsweise eingeworfen und alles (alles, alles) käme ins Fließen außer das „freie Kapital“! Petz, einer von 918

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