■ Jimmy Carter macht für die USA die Drecksarbeit: Von wegen Peanuts
Was ist er nun? Ein Diktatorenküsser mit privatem, portablem Außenministerium? Ein Ex-Präsident, der unter Nobelpreis-Entzug leidet? Ein Seelen- und Egotröster für Massenmörder und Kriegsverbrecher, die sich international „mißverstanden“ fühlen? Oder einer, der um des Friedens willen auch mal dem Teufel die Hand schüttelt und sich nicht am Schwefelgeruch stört, während man sich in Washington pikiert die Nase zuhält? Man kann getrost alles ankreuzen, um die derzeitige Rolle Jimmy Carters zu beschreiben – der seinerzeit für die USA die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ unterzeichnete.
Nun mag über die Motive Carters weiter rätseln, wer Zeit und Lust hat. Weitaus interessanter ist das Bild, das die Clinton-Administration während des jüngsten Carter-Trips abgegeben hat. Gewiß, man hat sich im Weißen Haus und im US-Außenministerium gekrümmt und gewunden, als die Reisepläne des „unberechenbaren Onkels“ (Spitz- und Deckname Carters in der Clinton-Administration) bekannt wurden. Doch am Ende haftet all den Distanzierungsversuchen, all den Bauchschmerzen angesichts Carters Umarmung der serbischen Führung etwas zutiefst Heuchlerisches an. Denn in Pale hat Jimmy Carter nicht nur Radovan Karadžić einen großen Dienst erwiesen, indem er ihm dazu verhalf, sich als Initiator einer neuen Verhandlungsrunde zu gerieren. Der „unberechenbare Onkel“ hat auch für seine ebenso unberechenbaren Nichten und Neffen die Kohlen aus dem Feuer geholt, indem er die Drecksarbeit übernahm und mit dem Teufel einen Pakt besiegelte, an dem ohnehin kein Weg mehr vorbeiführte: Zwei Jahre lang hatte die Clinton-Administration vor sich selbst und gegenüber der bosnischen Regierung die Illusion aufrechterhalten, man könne die Serben durch internationalen diplomatischen Druck zum Einlenken zwingen – ohne diese Strategie je durch militärischen Druck und einen entsprechenden Konsens innerhalb der westlichen Bündnispartner zu untermauern.
Jetzt verkündet man auch in Washington offiziell: Der Krieg für die bosnischen Muslime ist verloren, die Regierung in Sarajevo muß zur Anerkennung dieses Faktums notfalls gezwungen werden. Das heißt genau das, was die bosnische Regierung befürchtet: Radovan Karadžić, im US-Außenministerium noch unter der Rubrik „Kriegsverbrecher“ einsortiert, hat dank Intervention Jimmy Carters den „Friedens“plan der „Kontaktgruppe“ zur Neuverhandlung nach serbischem Gusto freigegeben. Der Clinton-Administration blieb dank dieser Intervention eines Privatreisenden das mediale Debakel erspart, für diesen Schritt die Verantwortung zu übernehmen. Andrea Böhm
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