Wir lassen glotzen: Als die Wölfe heulten
■ Ein Video über den DDR-Fußball
Karl und Siegfried Wolf, Peter Ducke, Henning Frenzel, Eberhard Vogel, Achim Streich, Hans-Jürgen Dörner – Namen, die in den Statistiken des deutschen Fußballs immer weiter in den Hintergrund gedrängt werden, den Leuten in gewissen Teilen des Landes aber nach wie vor auf der Zunge zergehen. Der Mittelfeldwirbel der „Wölfe“ aus dem Erzgebirge in den 50er Jahren, die unwiderstehlichen Dribblings des „Schwarzen Peter“, der legendäre Eckball, den Matz Vogel 1964 in der Olympiaqualifikation gegen die UdSSR von der linken Seite mit dem linken Außenrist direkt verwandelte, der Olympiasieg 1976 in Montreal und natürlich das deutsch-deutsche Tor des Jahrhunderts, Sparwassers 1:0 gegen die BRD bei der WM 1974 in Hamburg – Meilensteine des DDR-Fußballs, dessen Geschichte auf dem Video „HisTORie“ in 90 Minuten nacherzählt wird.
87 Millionen Zuschauer sahen in 42 Jahren 8.046 Oberligaspiele und 24.200 Tore, durch den 1. FC Magdeburg wurde ein Europapokal gewonnen, in 293 Länderspielen 501 Tore erzielt, die letzten beiden von Matthias Sammer in Brüssel gegen Belgien beim sensationellen 2:0-Sieg einer DDR-Auswahl, in der kaum noch jemand spielen mochte. Wilfried Mohren und Bodo Boeck vom MDR lassen die meist leidvolle Länderspielgeschichte der DDR ebenso Revue passieren wie die Meisterschaft, den FDGB-Pokal und die Europacupdramen, deren Höhepunkte neben dem 2:0-Finalsieg Magdeburgs im Meistercup 1974 gegen den AC Mailand die Duelle der Dresdner Dynamos 1973 mit den hochnäsigen Münchner Bayern (3:4/3:3) und 1986 mit Bayer Uerdingen (2:0/3:7) waren.
Ein bißchen kurz kommen die unvergleichlichen Originalkommentare der Reporter des DDR-Fernsehens, dafür wird der Zug durch die Geschichte von diversen Aussagen der Protagonisten begleitet. Siegfried und Karl Wolf („wenn die Wölfe heulen, ist der Gegner chancenlos“), loben noch einmal ihren alten Mannschaftskameraden bei Wismut Aue, Torjäger Willi Tröger, den die Anhänger „Tell vom Lößnitztal“, aber auch „Wodka-Willi“ nannten; Jürgen Nöldner berichtet, daß die Fußballer vom Volksarmeeklub ASK Vorwärts Berlin den Stechschritt besser beherrschten als die Boxer; ein ergrauter „Schwarzer Peter“ Ducke erzählt, daß er schon als Kind den Ball nie abgegeben habe, und lobt die Kreativität des Trainers Georg Buschner; der wiederum erläutert seine moderne Trainingsmethodik, und die Mutter Dixie Dörners berichtet, wie ihr Sohn einmal eine wertvolle Stehlampe zerballert habe.
Die wichtigsten Trainer werden vorgestellt, die größten Spieler porträtiert – wobei zu bedauern ist, daß der „Netzer des Ostens“, Hansi Kreische, fehlt –, aber auch die Schattenseiten, die Eingriffe staatlicherseits, bleiben nicht unerwähnt. Schon das erste Meisterschaftsfinale, das Horch Zwickau 1950 „vor 60.000 Zuschauern, unter ihnen Walter Ulbricht“ (Wochenschau-Kommentar) gegen das aufmüpfige Team aus Dresden-Friedrichstadt gewann, trug jenen Ruch der Einflußnahme von oben, der auch der zehnjährigen Dominanz des BFC Dynamo in den 80ern anhaftete. Die diktierten Verpflanzungen von Spielern kommen zur Sprache, ebenso die Disziplinierungen von Trainern wie Magdeburgs Europacuphelden Heinz Krügel. 1974 bekam sein Team vom Staatsratsvorsitzenden Honecker noch „hohe taktische Disziplin“ attestiert, einige Jahre später wurde er als „Ost- West-Versöhnler“ kaltgestellt.
Großer Raum wird natürlich dem erfolgreichsten DDR-Trainer Georg Buschner eingeräumt, der heute noch unverständlicher nuschelt als früher, es sich aber nicht nehmen läßt, den coachenden Feldwebeln von heute die komprimierte Weisheit seines Trainerlebens ins Stammbuch zu schreiben: „Autoritäre Trainer sind die schwachen Trainer. Ein starker Trainer ist der, der offen ist für alle Einflüsse.“
Ein Extralob gebührt den Produzenten der hochspannenden Dokumentation für ihre Geißelung des Schildbürgerstreichs der Berliner Möchtegern-Olympiaplaner, die das Stadion der Weltjugend, vormals Walter-Ulbricht-Stadion, Schauplatz zahlreicher Endspiele des FDGB-Pokals, abreißen ließen. „Es wurde wieder zu dem Stoff, aus dem es einmal entstanden ist – zu Schutt“, heißt es da. Ein Satz, der durchaus auf den DDR-Fußball insgesamt anwendbar ist. Matti Lieske
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