Kurdenproblem lösen

■ Neue Partei in der Türkei gegründet

Istanbul (taz) – Nach einer über einjährigen Vorbereitungszeit hat sich gestern die „Bewegung für neue Demokratie“ der Türkei formal als politische Partei konstituiert. Zuvor hatte der Industrielle Cem Boyner die für eine Gründung notwendigen Dokumente beim Innenministerium in Ankara eingereicht. „Die Bewegung für neue Demokratie ist eine Bürgerbewegung“, kommentiert der frischgekürte Vorsitzende. Tatsächlich befinden sich unter den 133 Gründungsmitgliedern zahlreiche Prominente aus Industrie und Management, Juristen, Journalisten und Expolitiker.

Die Parteigründer sind bunt zusammengewürfelt, ihre politischen Biographien ähneln sich nicht im geringsten. Ehemalige Funktionäre der faschistischen „Nationalistischen Aktionspartei“ ist ebenso dabei wie Exfunktionäre der Kommunistischen Partei, kurdische Intellektuelle, ehemalige islamistische oder sozialdemokratische Abgeordnete. Der 38jährige Textilindustrielle Boyner, einst Sprecher des mächtigen Arbeitgeberverbandes „Tüsiad“, ist unumstrittene Führungspersönlichkeit der Neugründung, die sich eine liberale Programmatik zugelegt hat. Die „Bewegung für neue Demokratie“ will eine Partei der Mitte sein, und Boyner ist zuversichtlich, daß seine Partei bei Wahlen auf Anhieb 40 Prozent der Stimmen erhalten wird.

Boyner hatte sich bisher durch eine radikale Kritik der Kurdenpolitik der etablierten Parteien hervorgetan. „Könnt ihr mir einen Staat zeigen, der seit zehn Jahren seine eigenen Territorien bombardiert“, fragt er. „Den Kurden ihre Rechte zu geben ist keine große Reform oder ein demokratischer Schritt, es ist die Rückgabe von Rechten, die der Staat ihnen vor 70 Jahren gestohlen hat.“ Boyner verspricht eine friedliche Beendigung des Krieges in den kurdischen Regionen, der seit 1984 über 13.000 Menschen das Leben gekostet hat. Dafür erhofft er sich Stimmen von jenen türkischen Wählern, die zu dem Schluß gekommen sind, daß der Krieg der türkischen Armee gegen die kurdische Guerilla zu teuer geworden ist.

„Kompromiß“ könnte eines der wichtigen Schlagworte der neugegründeten Partei werden. Und das nicht nur, was die kurdische Frage angeht – auch mit den Islamisten will Boyner einen Ausgleich finden. Er verspricht, die Kontrolle und Gängelung des Islam durch den Staat aufzuheben. Da kann kaum verwundern, daß nicht nur die Öffentlichkeit und die Medien sich für die neue Partei enorm interessieren, sondern auch die politische Justiz. Die Staatsanwaltschaft des Staatssicherheitsgerichtes Ankara sandte bereits das polizeiliche Protokoll einer Rede Boyners im zentralanatolischen Kayseri an einen Gutachter. Die Staatsanwälte fragten nach, ob der Straftatbestand „seperatistischer Propaganda“ erfüllt werde. Ömer Erzeren