Wand und Boden
: Motorsägen-Sound der Kritik

■ Kunst in Berlin jetzt: Konsor, Bromba, Bolenz, Cenedella

Der Termin dieser Besprechung ist ungünstig. Gabriele Konsor hat in den Auslagen der Dirty-Windows-Gallery „Pericorium“-Porzellanteller und „Auracor“-Kalender für das Jahr 1995 ausgestellt, Haushalts-Nippes als Weihnachtsgeschenk, Airbrush- Ideen zum Fest und für das neue Jahr. Da muß man erst einmal tief durchatmen, denn die Kunstdrucke und bemalten Teller sind grausiger als jedes geschnitzte Koons-Ferkel aus Oberammergau. Perverser Plasmakitsch, Gedärmsäulen und rosa aufgestülpte Kringel, Herzen und Wulste. Albartig surreale Traumutensilien, deren sexuelle Konnotation sich mit Ikonenmalerei vermengt. Die Teller sind noch einen Tick obszöner ausgefallen, Pericorium zeigt klaffendes Muskelfleisch in schreiendem Rot. Auf einem Foto hält Konsor das Ding im Gynäkologinnengriff, darüber der Werbespruch: „Die Verführung hat tausend Arme.“ Ein bißchen durchschaut man zwar den Trick, vermutet dahinter gar eine Kritik am Betriebssystem der Kunst, das allen Kommerz in der Abstraktion verschwinden läßt. Bei aller Strategie scheint Gabriele Konsor sich doch ein wenig zu stark mit dem affirmativen Trash identifiziert zu haben. Die Kunst macht da keinen Unterschied. Wer trotzdem einen Teller möchte oder noch einen Kalender braucht, mit dem er oder sie die letzten Freunde verschrecken will, kann unter 030/2085245 anrufen, und bestellen.

Bis 31.12., während der U-Bahnzeiten, Kudamm, Eingang Joachimstaler Straße.

Bei Andreas Bromba weiß man auch nicht so recht, ob sich hinter seinen als „Nukleaform“ rubrizierten und ausgestellten Fotos, Gemälden oder Metall- Objekten die Geistesverfassung eines Maniacs verbirgt. Natural Born Künstlers, diesmal mit Stahlschädeln und blutigen Eiern. Bromba zeigt gothische Friedhofsengel und Zeichnungen von zerstückelten Figuren neben in Stahlgestelle eingezwängten Blutfingerlingen. Er nennt es zwar Die sanfte Gleichgültigkeit des Todes, dennoch fühlt man sich mehr an früheste Speed- Metal- oder Slayer-Plattencover erinnert als an „eher ruhige und mystische Serien“, wie der Künstler seine Inszenierungen von Terror und Gewalt verstanden wissen will. Die Zeichnungen von Leichenteilen und Schädelhaufen sind möglicherweise mit Absicht so kindlich naturalistisch gehalten, daß man darin den Aufschrei eines verwirrten Headbangers vermuten soll. Die Fotos aber geben sich edel und glatt, der schlüpfende Klabautermann wurde gleich in Serie für einen Hamburger Postkarten-Service gedruckt. Eine Gruppe Fotokopien wiederum ordnet sich irgendwo zwischen Urknall und Stahlgewitter ein. Das Draußen ist wohl feindlich, bedenklich nur, wenn man im Drinnen auch nicht mehr Bescheid weiß. Dort sind Brombas Arbeiten zu Hause.

Bis 31.12., Garn-Theater, täglich außer Mi, 18.30-20 Uhr, Katzbachstr. 19.

Biotechnologie war das kunstbetrieblich aufgearbeitete Thema des Jahres. Vielleicht hängt das weniger mit der wiedergekehrten Sorge ums Selbst, als dem breiten Spektrum von Darstellungsmöglichkeiten zusammen. Videos über abseitige Genderzuschreibungen, Konzeptpapiere zum Feminismus, und am Ende ein neues Bild vom Menschen. Ulrike Bolenz hat ihr eigenes genommen. Eine Aktfotografie bildet die Grundlage für ein Dutzend Arbeiten, die bis zum 16.1. im Kunstverein Friedrichstadt e.V. ausgestellt sind. Auf die Folie des immergleichen Selbstportraits schichtet sie unterschiedliche Informationssysteme. Jede der Ebenen bleibt dabei transparent wie eine collagenartige Frottage. Über dem Brustbein zur Erinnerung an das vergangene Jahr kann man verstreute Pressemeldungen lesen: Genpatente, Frauenfragen, Kurdenpolitik, Asyldebatte; dazu eine undefinierbare Maßeinheit, die mit scheinbar militärischen Begriffen nach Zonen unterteilt ist. Der gläserne Mensch ist ein Netz aus Daten. Andererseits läßt sich die Durchleuchtung nicht von einer Neubeschriftung trennen. Jeder technische Wert interpretiert immer auch den Text aus wissenschaftlichen oder sozialen Codes, aus denen das eigene Bild Bolenz' zugleich hervorgeht und von denen es verdeckt wird, zumal Bolenz im Finish das Ganze mit grau-braunen Pinselstrichen getüncht hat. Trotzdem wirkt das vorangestellte Thema relativ willkürlich, wenn nicht konstruiert. Andere Schichten hätten andere Einblicke ergeben. Am Ende ist das Politische dieser Kunst bloß formgebunden. Der Rest funktioniert wie jede andere Übermalung seit Arnulf Rainer.

Chausseestr. 124, Di-Fr 14-18 Uhr.

Schon am zweiten Tag sind die Mengen von Menschen, die sich in der Neuen Nationalgalerie schamlos und begierig vor den Bildern von George Grosz drängeln, ein bißchen unheimlich. Als wäre jeder Widerspruch im nachhinein ein bestätigendes Machtwort. Auch Cenedella rennt mit seinen Bloßstellungen offene Türen ein. Es ist der Motorsägen- Sound der Kritik, der seine bunten Bilder dissident macht, und das paßt zu Berlin. Der gekreuzigte Weihnachtsmann auf dem Geschenkeberg – warum hat Moral immer einen schlechten Geschmack? Cenedella entlarvt gerne, aber er kann nicht malen. Das unterscheidet ihn von Grosz, in dessen Polemik Bildaufbau und Farbgefühl stimmen. Bei Cenedella verschwimmt die Schärfe seines Lehrers in Ölgemälden, die an Jugendbuchillustrationen zur Kulturindustrie erinnern. Ein Orchester en miniature wird von Bonzen begafft; zur Vernissage hängen die Künstler elend an der Wand, die dumpfe Rest-Gesellschaft prügelt sich am Büfett. Adorno hätte die Bilder trotzdem nicht gemocht. Dazu politische Statements: Nixon sitzt mit Hitler am Tresen, zum Golfkriegsbeginn schwenken Suffköppe die Fahnen und eine Blondine reißt ihr Kleid herunter – ein Motiv, daß seit Delacroixs Revolutions- Bild gerne zitiert wird. (Warum müssen immer Frauen als Ersatz- Objekt der Nation herhalten?). Abgetrennt, in einem hinteren Raum zeigt sich Cenedella dagegen unspektakulär und als souverän amerikanischer Realist, indem er Autoreifen, Kanupaddel und Motorbootsmotoren nachmalt. Auch seine Stadtlandschaften sind bei der Sache. Ansonsten gilt, das schlechte Bilder zumeist auch schlecht gemacht sind.

In Search of Dada, bis 24.2., Galerie Am Scheunenviertel, Mo-Sa 17-22, So 11-18 Uhr; Weinmeisterstraße 8. Harald Fricke