Handwerkliches, Allzuhandwerkliches etc.: Unternehmensphilosophie, wörtlich genommen
■ Aus den Aufzeichnungen eines Wertehändlers. Eine Warnung.
„Ein guter Käse gehört zu den letzten ,Lebensmitteln mit Charakter‘. [...] Am besten läge er auf Stroh im Keller, aber noch seltener als Stroh gibt es ja noch wohltemperierte Keller.“ Wirklich schlimm das, die Zivilisation entläßt ihren Käse trocken. Aber keine Panik, den in herzlosen Kühlschränken vor sich hinstinkenden Käsestücken kann geholfen werden. Auch in anderen Notlagen des Alltagslebens gibt es Rat für jene, die zu den Beziehern des Manufactum-Katalogs gehören. Noch nie davon gehört?
„Es gibt sie noch, die guten Dinge“, Nützlichkeiten aller Art, und Manufactum vertreibt sie mit reißendem Absatz. Thomas Hoof, früher Landesgeschäftsführer der Grünen in Nordrhein- Westfalen, gründete den Recklinghäuser Versandhandel der „guten Dinge“ 1988 und steigerte den Umsatz von 650.000 (1989) auf mehr als 30 Millionen Mark allein in diesem Jahr. Eine beispiellose Erfolgsstory mit einer zündenden unternehmerischen Idee nahm ihren Lauf, ökologisch einwandfrei. Gläserne Meßbecher, Scheren für Linkshänder und Messer, die auch nach tausend rasanten Schnitten noch schneiden. Vieles von dem, was solides Handwerk einmal hervorgebracht hat, kann man über Manufactum beziehen, auch wenn es aus den Kaufhausregalen längst verbannt ist. In ganz Europa hat Hoof Produzenten von Wertarbeit gefunden, und die Warenliste liest sich wie ein Museumskatalog. Ein wahrlich verdienstvolles Unternehmen.
Thomas Hoof hat den „Abschied vom Wegwerfprinzip“ früh erkannt und weitet die Lager für die haltbaren Dinge, Anlaß für allerlei Déjà-vu-Erlebnisse, zum Gefallen der Versandkunden stetig aus. Selbst der Katalog erhielt schon eine Auszeichnung. Die Jury des „Internationalen Designpreises des Landes Baden- Württemberg“ nominierte eine limitierte gebundene Ausgabe der nach dem 2001-Prinzip verschickten Werbebroschur. Die Sprache hebe sich von dem „üblichen Werbegeschwätz“ ab, hieß es in der Laudatio. Das muß in den Ohren des Manufactum-Chefs Hoof wie eine Einladung zu weiterführenden Schreibübungen geklungen haben.
Kürzlich nämlich überraschte er seine wertorientierten Kunden mit „Manuscriptum. Ein kommentierter Bücherkatalog“. Kommt der Stöberer im Krämerkonto nun als unnachgiebiger Fahnder nach dem guten, leider oft vergriffenen Buch? Eher nicht, denn das meiste aus dem Manuscriptum-Katalog findet sich auch in einer mittelmäßig sortierten Buchhandlung. Vielmehr entpuppt sich Hoof als Versandhandel-Reich-Ranicki, der einem größeren Publikum seine Lieblingslektüre aufdrängt. Er stützt sich dabei auf die Zitatlehnen von verschwurbelten Konservativen, Skeptikern und Nihilisten. Man kennt derlei Überzeugungsemphase aus viel zu langen Kneipennächten, in denen unter Freunden „Menschliches, Allzumenschliches“ gesabbelt wird. Unter Verschluß gehaltene Säulenheilige einsamer Lesenächte werden plötzlich zu monströsen Weltdeutern. Am Tresen schwappt manch ein Gedanke über den Rand. So auch im vorliegenden Bücherkatalog. Mit scheppernder Überzeugungsrhetorik treibt Hoof Enzensberger zurück in die Arme von Arnold Gehlen, und Norbert Elias ist ihm irgendwie verdächtig, weil der „Prozeß der Zivilisation“ zu wenig Spielraum läßt für grüblerische Tiefe. Bestellen kann man natürlich auch die Elias-Ausgabe von Suhrkamp (stw), weil: „Das Thema ist ja ein großes: Was passiert da eigentlich seit Jahrhunderten mit dem moralischen Kapital der Menschheit?“
Solche und andere schwere Fragen stellt der Mann in seiner Werbepostille, daß man bald nach der schlichten, aber ungemein luftigen Wahrheit der Toyota-Reklame lechzt. Hier bestätigt sich einmal mehr der Verdacht, daß wirtschaftliches Gelingen im seltensten Fall früher erlittene Kränkungen aufheben kann. Das ist die dunkle Seite der Durchsetzung einer ökologisch geprägten Ökonomie. Britta Steilmann muß Rudolf Scharping beraten, Thomas Hoof die vielen Leser draußen im Lande. Harry Nutt
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