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Italiens Dreigroschenoper

Wie konnte ein Medienmogul à la Berlusconi an die Macht kommen? Anatomie einer in den westlichen Demokratien bisher beispiellos gebliebenen „Telekratie“  ■ Von Ekkehart Krippendorff

Der Titel „Showmaster der Macht“ ist treffend gewählt. Nachdem wir in Ronald Reagan einen Schauspieler als gewählten Präsidenten erlebt haben, wurde in Italien nun erstmals nicht nur ein mächtiger Wirtschaftsboß, sondern noch dazu einer, der Herr über den größten Medienkonzern des Landes ist, Regierungschef; das ist so, als wäre Axel Cäsar Springer um, sagen wir, 1970 Bundeskanzler geworden; nur war Springer im Vergleich mit dem, was Berlusconi an Medienmacht in Händen hält, geradezu ein Waisenknabe. In Italien operieren, nach den USA (650), mit 500 privaten TV-Sendern die meisten aller weltweit betriebenen nicht-staatlichen Fernsehstationen, und Italien hält den Weltrekord an ausgestrahlten Werbesendungen: 700 Minuten täglich (USA „nur“ 540). Die dabei aber zählen, die überregionalen – und eben die, mit denen sich die politische Klasse für die empfangenen Schmiergelder erkenntlich zeigte – sind fest in der Hand des „Medienzaren“.

Durchaus logisch war es, daß eine der ersten Regierungshandlungen darin bestand, nun auch noch das öffentliche Fernsehen, die RAI, unter Berlusconi-Kontrolle zu bekommen. Geradezu entwaffnend die Offenheit des damals neuen Premiers: In keinem anderen Land der Welt werde es toleriert, daß das Fernsehen ständig die eigene Regierung kritisiere! Daß dem Mann daneben auch Tageszeitungen und einer der größten Verlage gehören, von Versicherungsgesellschaften, Immobilienfirmen bis hin zu Reiseunternehmen ganz zu schweigen, ist fast schon ein Randphänomen dieser in den westlichen Demokratien beispiellosen „Telekratie“. Wo sonst ist es möglich, wie im vergangenen Sommer ein bissig-ironischer Kommentator der Unità schrieb, daß ein Bürger als Beamter Berlusconi zum Dienstherren hat, in einer von dessen Baufirma errichteten Wohnung wohnt, seinen Einkauf in einem Fininvest gehörenden Supermarkt tätigt, ein Buch oder eine Tageszeitung von einem Berlusconi-Verlag bezieht, sonntags die von seinem Chef kontrollierte berühmte Fußballmannschaft „Milan“ in dessen Fernsehen verfolgt, dort von der Werbung sich gewinnen läßt für Ferien mit einem Fininvest-kontrollierten Reiseunternehmen, usw. ...

Wie es zu diesem aufhaltsamen Aufstieg kam, wie er sich die politische Klasse, vor allem seinen Compagnon und Gesinnungsbruder in Sachen Skrupellosigkeit und Korruption, den Sozialisten (!) Bettino Craxi kaufte, das alles liest sich ebenso mühselig im einzelnen wie spannend im ganzen. Den möchte ich sehen, dem es da nicht schließlich vor den Augen flimmerte – und man lernt: Was immer wir lesen mögen oder zu wissen glauben über die „Gesetze“ und „Mechanismen“ der Politik: Ohne ihre kriminell-ökonomische Nachtseite ist sie wie die sprichwörtliche „Dame ohne Unterleib“.

Die politologische Analyse ist da eigentlich ganz hilflos, hat weder Kategorien noch Methoden, um diese ebenso komplexen wie letztlich primitiven Zusammenhänge durchsichtig zu machen. Vielleicht ist das noch immer am besten in der „Dreigroschenoper“ gelungen, wo gezeigt wird, daß der Besitz einer Bank besser und erstrebenswerter ist als der erfolgreiche Einbruch in diese. Denn das scheint ja letztlich der Grund für Berlusconis Sprung in die Politik gewesen zu sein: Sein Imperium war tief verschuldet, und wenn die Linke an die Regierung gekommen wäre, hätte das vermutlich den Offenbarungseid bedeutet. Der Dumme dabei war natürlich der italienische Wähler, der meinte, einen Mann gewählt zu haben, der nicht zum alten Regime der Korruption gehörte, und dabei den Bestecher selbst, den sprichwörtlichen Bock zum Gärtner des Neuen bestellte, womit das Alte nun um so sicherer im Sattel saß.

Offiziell ist seit 1993/94 von der „Zweiten Republik“ die Rede. Die beiden Journalisten-Rechercheure zeigen mit großer Akribie und detektivischer Genauigkeit, daß es sich dabei letztlich um die Verwirklichung der Pläne jener mysteriösen Geheimloge „Propaganda 2“ handelt, die, vorzeitig entdeckt und dann verboten, auch Berlusconi zum „Bruder“ hatte.

Es trifft sich gut, daß zusammen mit den Berlusconi-Enthüllungen Friederike Hausmann ihre Geschichte Italiens bei Wagenbach überarbeitet und bis zur „Revolution all'italiana“ (1992–1994) fortgeführt hat. Hausmann ist eine der besten Kennerinnen von Geschichte und Politik des Landes, und nicht zuletzt versteht sie flüssig zu schreiben, spannend zu erzählen und trefflich-scharf zu charakterisieren. Als – im besten Sinne – populäre, das heißt für den interessierten Laien und Italienfreund geschriebene Einführung in die Nachkriegsgeschichte ist der kleine, sinnvoll illustrierte Band kaum zu übertreffen. Das Dickicht der Verschwörungen, Beziehungen, Verflechtungen, der Korruptionen, politischen Morde und Attentate vermag auch sie zwar nicht zu durchleuchten, aber doch wenigstens ansatzweise durchsichtig zu machen. Auf den wirtschaftskriminellen Unterleib der Berlusconischen Politik-Karriere hat sie sich nicht eingelassen. Dafür bietet sie dann einen Epilog der Grundzüge der italienischen Wirtschaftsentwicklung der letzten Jahrzehnte, der an Präzision und Kompaktheit seinesgleichen sucht.

Und das Fazit? Erstens: Die italienischen Perspektiven sind düster, sie deuten in Richtung eines Dritte-Welt-Landes im Ausverkauf. Zweitens: Zum politischen Geschäft gehören offensichtlich andere Qualitäten als die des erfolgreichen Wirtschaftsmanagers; wer einen Konzern zu kontrollieren versteht, ist deswegen noch lange nicht in der Lage, eine Kabinettssitzung zu leiten oder politische Bündnisse zu handhaben. Drittens: Wenn wir das spezifisch Italienische vom „Fall Berlusconi“ abziehen, bleibt unter dem Strich noch genügend Beunruhigendes übrig – eben die „Telekratie“, die, wenn wir nicht achtgeben, ein europäisches Modell werden könnte.

Giovanni Ruggeri/Mario Guarino: „Berlusconi. Showmaster der Macht“. Gatza-Verlag, Berlin 1994, 240 Seiten, 38 DM.

Friederike Hausmann: „Kleine Geschichte Italiens seit 1943“. Völlig überarbeitete Neuausgabe, Klaus Wagenbach Verlag Berlin, TB 241, 204 Seiten, 19,80 DM.

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