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Staub mit Objektcharakter

Das Leben der Dichterin Sylvia Plath hat wie kein anderes zu Mythenbildungen angeregt. Jetzt werden diese Mythen selbst untersucht  ■ Von Martin Pesch

Es gibt Menschen, die für ihr Leben gerne Biographien lesen. Zu denen gehöre ich nicht. Wenn ich mich richtig erinnere, kenne ich nur zwei Exemplare dieses Genres. Es sind die Bücher von Anne Stevenson und Linda Wagner-Martin über Sylvia Plath. Warum gerade Plath?

Eine mittlerweile uralte Ausgabe des Schreibhefts machte mich auf Plath aufmerksam, und ich habe dann gleich „Ariel“, ihre späten Gedichte, gekauft. Durch Klappentext und Verlagsinfo hatte ich schnell das Gerüst zusammen, das Plath zu dem „Fall“ machte, an dem die Theweleits und Bronfens in mir Interesse fanden: Plaths künstlerische Ambitionen, die Ehe mit dem Dichter Ted Hughes, unterdrückte literarische Tätigkeit wegen Familie, Scheitern der Ehe, Einsamkeit, keine Karriere, Selbstmord. „Ariel“, zum großen Teil in dem halben Jahr vor ihrem Tod geschrieben, nimmt man bei diesen Details nur noch als weiße Wand wahr, an der die Autorin menetekelhaft ihren Suizid angekündigt hat. Sie hätte auch gleich schreiben können: „I hate myself and I want to die.“

Man gab und gibt sich damit allerdings nicht zufrieden. Alle Versuche aber, die „weiße Wand“ biographisch und literaturkritisch zu füllen, um den Fall „Sylvia Plath“ von eben diesem Stigma zu befreien, sind gescheitert. Plaths Leben und Werk haben sich immer mehr zu einer mythischen Geschichte entwickelt, die zwangsläufig auf ihr Ende hinausläuft – auf jenen 11. Februar 1963 in London, als sie spät abends ihren beiden Kindern Milch und Brot an die Betten stellte, die Tür zum Kinderzimmer abdichtete, Schlaftabletten schluckte und ihren Kopf in den Backofen legte, nachdem sie das Gas aufgedreht hatte.

Janet Malcolm geht mit ihrem Buch „Die schweigende Frau“ einen neuen Weg. Sie klappert die Etappe ab, während die anderen ihr Glück an der Front versuchten. Das heißt, sie nimmt von vornherein keinen Bezug mehr auf das, was das tatsächliche Leben der Plath gewesen sein könnte, sondern sie bezieht sich auf die unterschiedlichen biographischen Konstruktionen, die inzwischen vorliegen. Malcolm ärgert sich zum Beispiel über ihren spontan beschlossenen Abstecher zum Haus von Ted Hughes, in dem auch Plath und die Kinder längere Zeit gewohnt hatten: “... ich hatte mich dem Verfolgerpack angeschlossen. Trotzdem inspizierte ich Haus und Grundstück, suchte beharrlich weiter nach einer mentalen Trophäe, die ich mitnehmen konnte, um meinen Besuch an diesem Ort zu kennzeichnen, wo das Mädchen, das bald tot sein sollte, in den blauen Stunden der Morgendämmerung seine Unsterblichkeit festschrieb.“ „Blaue Stunde“ – angesichts des „aufgeladenen“ Ortes geht selbst mit der sachlichen Malcolm die Sprache durch.

Sonst fällt ihre Schreibweise durch Sachlichkeit auf. „Nachdem sie Tee eingeschenkt hatte, sprach sie weiter ...“ – von diesem Ton sind ihre Beschreibungen der Begegnungen mit den Leuten geprägt, denen wir Sylvia Plath in allen Schattierungen zu verdanken haben: Plaths Schwägerin Olwyn Hughes, die Biographin Anne Stevenson, der Kritiker Alfred Alvarez, der als erster Plaths eigenständiges Talent erkannte und der auch mit seiner „Erinnerung“ den biographischen Reigen begann, die Literaturtheoretikerin Jacqueline Rose und einige andere. Malcolms Ziel ist es, durch ihre Interviews etwas Licht in den Überbau zu bringen, der auf dem Werk Plaths aufsitzt. Der Mythos „Plath“ wird dabei nicht auf einen irgendwie realen Kern zurechtgestutzt; es werden lediglich einige Motive und Mißverständnisse sichtbar, die zu diesem Mythos geführt haben.

Philologischer Nervenkrieg

Es ist interessant, durch die Recherche zum ersten Mal etwas über die Person Olwyn Hughes zu erfahren, die bis vor kurzem den Nachlaß verwaltet hat. Deutlich wird dabei, daß sie allen, die über Plath zu arbeiten vorhatten, anfangs sehr behilflich war, um Verbündete in ihren Bestrebungen zu finden, ihre und Ted Hughes' Sicht auf Plaths Leben und Werk zu verbreiten. Bei jeder für sie kritischen Wendung wurde aber sofort die Unterstützung eingestellt und stets die Drohung ausgesprochen, alle Abdruckrechte zu verweigern. Den Nervenkrieg, der bei einer solchen Zusammenarbeit entsteht, schildert Anne Stevenson, die sich sehr weit auf die Wünsche der Hughes-Geschwister einließ: „,Es war sehr schmerzhaft, bei jedem Satz kritisiert zu werden. Ich weiß wirklich nicht, warum ich das Buch veröffentlicht habe. Mein Mann meint, ich hätte es nicht tun sollen.' Nach einer Pause fragte sie mich: 'Was meinen Sie? Hätte ich es veröffentlichen sollen?'“.

Die Hughes stehen im Zwielicht. Sie haben sich diese Position selbst zuzuschreiben. Auch wenn sie unter ihr selbst zu leiden haben. Ihr Pochen auf einen alleingültigen Standpunkt, von dem aus Plaths Leben und Werk zu betrachten ist, nimmt manchmal skurrile und doktrinäre Züge an. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn Ted Hughes, der immer nur brieflich in Erscheinung tritt, von Jacqueline Rose verlangt, eine bestimmte Gedichtinterpretation aus ihrem Buch über Plath zu streichen, weil er befürchtet, daß Plaths längst erwachsene Kinder Schaden nehmen könnten, wenn sie von Roses Lesart erführen, Sylvia Plath sei unsicher gegenüber ihrer eigenen sexuellen Identität gewesen. Roses Buch – die sehr empfehlenswerte, noch nicht übersetzte Studie „The Haunting of Sylvia Plath“ – ist 1991 mit den inkriminierten Stellen erschienen.

Ein Witwer in Geldnöten

Janet Malcolm, die mehrfach betont, daß sie Ted Hughes Mitleid entgegenbringt, sagt an einer Stelle auch, daß man dieses nicht aufbringen muß. Sie führt nämlich einen Brief an, den man, wenn man will, als den Ursprung aller Spekulationen über Plath betrachten kann. Ted Hughes bittet in diesem Brief Plaths Mutter um die Erlaubnis, Plaths Roman „Die Glasglocke“ in den USA zu veröffentlichen (dieser war noch zu deren Lebzeiten in England unter Pseudonym erschienen, weil die darin nicht sehr vorteilhaft auftauchende Mutter nicht mit Aurelia Schober-Plath in Verbindung gebracht werden sollte): Das zu erwartende Geld könne er gut gebrauchen. Der Roman kam heraus, in jeder Rezension wird die schwierige Tochter- Mutter-Beziehung erwähnt, die Mutter gibt daraufhin die „Briefe nach Hause“ heraus, in denen Sylvia als brave und „normale“ Tochter erscheint. Um das in Schräglage gekommene Bild zu korrigieren, werden unter der Aufsicht von Ted Hughes die „Journals of Sylvia Plath“ herausgegeben. Das sind Auszüge aus den Tagebüchern; an ihrem Anfang steht jenes durchaus skandalöse Vorwort, in dem Ted Hughes mitteilt, daß er – wieder um die Kinder zu schützen – den Teil der Aufzeichnungen vernichtet habe, die Plath bis kurz vor ihrem Selbstmord geführt hatte. Ein anderer Teil sei verschwunden. So kommt man ins Zwielicht – und das alles bloß wegen ein paar Dollar.

Besprechungen von Schriftsteller-Biographien werden gerne mit der Aufforderung beendet, die LeserInnen sollten sich doch wieder oder erstmals dem jeweiligen Werk zuwenden. Das sei es doch, um das es eigentlich ginge. Bei niemandem sonst ist dieser Gedanke so vergeblich wie bei Sylvia Plath. Janet Malcolm beendet ihr Buch wohlkalkuliert mit einer sehr schönen Episode. Sie schildert einen Besuch bei Trevor Thomas. Das ist der Mann, der als Nachbar von Sylvia Plath sie wahrscheinlich zum letzten Mal gesehen hat, und er ist es auch, der eine ziemlich diffamierende „Erinnerung“ geschrieben hat – er mochte seine Nachbarn einfach nicht. Ein alter, schrulliger Mann, der mit einem Freund in symphatisch-chaotischen häuslichen Verhältnissen lebt: „An den Wänden, auf dem Boden, auf jeder freien Fläche stapelten sich hundert oder gar tausend Gegenstände, als ob man hastig in einen Trödelladen den Inhalt von zehn weiteren Trödelläden gestopft hätte. Das Ganze bedeckte eine Staubschicht: Keine normale durchsichtige Staubschicht, sondern eine Staubschicht, die wiederum vom Staub bedeckt war – Staub, der im Laufe der Jahre eine Art Objektcharakter angenommen hatte, sozusagen immanent.“ In welchem Sinn man diese Schilderung als Gleichnis lesen kann, ergibt sich sozusagen.

Janet Malcolm: „Die schweigende Frau. Die Biographien der Sylvia Plath“. Aus dem Amerikanischen von Susanne Friederike Levin. Kellner Verlag. 220 Seiten, geb., 38 DM.

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