Eine sozialdemokratische Ehe auf Zeit

■ Der Wahlkampf in der SPD besticht durch Langeweile / Die Spitzenkandidaten Walter Momper und Ingrid Stahmer wollen Schaden von der Partei abwenden

Wann immer in diesen Wochen Walter Momper und Ingrid Stahmer in den Kreisverbänden vorstellig werden, wirken sie wie jene Ehepaare, die mit zusammengebissenen Zähnen die Fassade wahren. Von der Familie – in diesem Falle der Partei – soll Schaden abgewendet werden. Das ist die Regel, die bis zum 5. Februar gewahrt bleiben muß und auf die sich das ungleiche Paar verständigt hat. An diesem Tag sind rund 24.500 SPD- Mitglieder aufgerufen, in einer Urwahl ihren Spitzenkandidaten zu wählen. Wem die Vorliebe der Basis gilt, ist selbst für die ansonsten hellhörigen Kreisvorsitzenden schwer einzuschätzen. Der frühere Regierende Bürgermeister und die Sozialsenatorin fassen sich mit Samthandschuhen an. Weil so die Konturen verschwimmen, feiert das sozialdemokratische Gemüt seine Wiedergeburt. Auf dem Sonderparteitag zwölf Tage vor Weihnachten begrüßten die Delegierten Stahmer mit stürmischem Applaus. Auch als sie sich in ihrer Rede verhaspelte und sich in Nebensätzen verlor – dem Bauch der Basis war es einerlei. Um so schärfer wirkte der Absturz ihres Kontrahenten. Der hatte zwar die Medien auf seiner Seite und war von den Fotografen umlagert. Aber selbst, als Momper mit ausgeklügelten Sätzen der Partei einige Lacher entlockte, regten sich nur mühsam die Hände.

Momper und Stahmer – nicht nur zwei unterschiedliche Charaktere, zwei Politikformen prallen da aufeinander. Professionell wie ein US-Senator organisiert der derzeit in der Baubranche tätige Momper seinen Wahlkampf, betreibt ein eigenes Büro samt Sekretärin im Hilton am Gendarmenmarkt. Redemanuskripte werden vorab an die Presse verteilt, gar ein eigenes Logo mit dem Kürzel „Initiative WM95“ für die Schlacht um Stimmen entworfen. Stets dabei sein Adlatus und heimlicher Pressereferent Joachim Günther, Abgeordneter und 1985/87 engster Mitarbeiter in Kreuzberg. Zum Sprung auf den ersten Platz wollen ihm unter anderem Bausenator Wolfgang Nagel, Kultursenator Ulrich Roloff-Momin und Senatssprecher Eduard Heußen verhelfen, die Geld aus der eigenen Tasche zum Wahlkampf beisteuern.

Stahmer hingegen hofft auf den Glanz, den ihre Arbeit als Senatorin abwirft. Von ihrem Charlottenburger Parteibüro wird der Wahlkampf eher still betrieben. Unausgesprochen setzen ihre Unterstützer – zu denen Wirtschaftssenator Norbert Meisner gezählt wird – auf das lange Gedächtnis der Partei. Denn unvergessen bleibt vielen Mompers rauher Stil zu Zeiten des rot-grünen Senats. Regelrecht abgekanzelt wurden da Senatorinnen, wird gerne innerhalb der Partei erzählt. Nach Sitzungen seien damals bei Senatorinnen sogar Tränen geflossen, derart barsch sei Momper aufgetreten.

Solcherart Schilderungen werden gerne von jenen weitergetragen, die das Comeback des heute 49jährigen mit aller Macht verhindern wollen. Momper weiß um sein Image des harten Kerls. So wird er denn nicht müde, sich selbst „Lernfähigkeit“ zu attestieren. Andere sehen darin nur Taktik. Seine Versicherung, im Falle seiner Wahl mit Arbeitssenatorin Christine Bergmann und Stahmer als Troika zu agieren, sei ein geschicktes Manöver, wie ein Fraktionsmitglied meint: „Der Momper schafft sich dadurch nur mögliche männliche Konkurrenten vom Leib, das hat er schon zu rot-grünen Zeiten gut begriffen und gekonnt durchgesetzt.“ Severin Weiland