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Niedrigste Abart des Wortwitzes

Man reißt ihn, er passiert einem – aber woher kommt eigentlich der Kalauer? Eine Spurensuche nach dem „Proleten“ in der Klassengesellschaft von Witz, Scherz und Albernheiten. Wer war denn nun Professor K. Lauer?  ■ Von Johannes Winter

Frankfurt genießt seine Würstchen, Paris steht für Kondome, Hamburg gibt seinen Namen her für belegte Brötchen – und woher stammt der Kalauer, ebenfalls maskulin und ein Genußmittel?

Eine kleine Odyssee durch die Definitionsliteratur zum Einstieg, zwischen Enzyklopädien, Lexika und Wörterbüchern. Selbst honorige Nachschlagefirmen wie Meyer oder Brockhaus scheinen auf den ersten Blick nur voneinander abzuschreiben. Dort heißt es: „Eine sich an den Namen der Stadt Calau in der Niederlausitz anlehnende Berliner Eindeutschung des französischen Calembour(g), 1858 erstmals bezeugt.“

Soviel geographischer Witz war nicht zu erwarten. Auch die merkwürdig solitäre Jahreszahl gibt Rätsel auf.

Calau, derart vernetzt mit Preußens Hauptstadt und einer welschen Vokabel, die im Brockhaus- Pendant Larousse lapidar als „Wortspiel, Ursprung im dunkeln“ Erwähnung findet, kommt seinerseits lexikalisch als „Kreisstadt mit Schuhindustrie“ ebenso dürftig davon.

Das Städtchen Calau (sorbisch Kalawa) liegt etwa in der Mitte zwischen Dresden und Berlin in der Niederlausitz, mit eigenem Autobahnanschluß. Die Hauptstraße innerorts verbindet mit Cottbus und heißt auch so, sie ist Fußgängerzone und Verkehrsader in einem – ein Nachkriegsprodukt.

Die Stadtbücherei bietet sich an für die naheliegende Frage nach dem delikaten Exportprodukt. Die einschlägige Literatur über den Witz und das Witzige gibt dem Kalauer durchweg schlechte Noten: fad, faul, seicht, abgedroschen. Ein Hamburger Witzforscher adelte ihn zum „Proleten“ innerhalb der Klassengesellschaft von Scherz, Witz und anderen Albernheiten.

Die Suche gerät von einer Kalamität in die andere. Etymologisch ist da von einem „Umformungsmotiv“ die Rede, aus dem das Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem gallischen Calembour und dem berlinischen Kalauer entstanden sei.

Schuld daran seien die Schuhe aus Calau. Genauer: ihre „Minderwertigkeit“, die die Hauptstädter an den Provinzprodukten entdeckt und dem Wortwitz als Qualitätsmerkmal angeheftet hätten – den in Berlin vertrauten Calembour eindeutschend, nicht verballhornend.

Aber auch im Falle Calembour herrscht Uneinigkeit. Mal sei ein witziger Pariser Apotheker, mal ein radebrechender Hannoveraner Graf der Namensgeber. Aus den Spalten der Wissensbücher quillt geradezu Lexikal-Satire, eine Welt des unfreiwilligen Handbuch-Witzes tut sich auf, der den Calembour so ausdeutet: wortgeschichtlich gehe er auf das Jahr 1473 zurück; dabei handele es sich um das Erscheinungsdatum einer Satire mit dem Titel „Der Pfaffe von Kalenberg“, Werk eines Wiener Theologen namens Philipp Frankfurter.

Womit wir uns wie zu Anfang gleichsam an einem Würstchenstand der Main-Metropole wiederfinden. Auch Wien wird uns gleich noch beschäftigen.

Die Frage lautet also zugespitzt: Wem lassen sich die Kalauer in die Schuhe schieben? Im Buchladen am Calauer Boulevard findet sich eine Reisezeitschrift, die einen Heimatforscher aufgetrieben hat, der folgende Geschichte auftischt: Hiernach gingen in alten Zeiten die Calauerinnen und Calauer in ihren selbstgefertigten Schuhen aus Stoff und dicken Holzsohlen einher – und klapperten dabei kräftig. Schaden tat ihnen das nicht, aber für den Spott der Hauptstädter über ihr hinterwäldlerisches Schuhwerk hatten sie damit gesorgt.

Kaum zu glauben, daß die Frauen und Männer von Calau beabsichtigt hätten, aus Kalkül ihre klappernde Rückständigkeit – in der vorigen Version „Minderwertigkeit“ – zu demonstrieren.

Vielmehr liegt es nahe, gerade an dieser Stelle einen Blick in einen Klassiker zu werfen, der in den hinteren Regalen steht: „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten“. Sigmund Freud, der Seelenforscher aus Wien, stuft darin, humorlos wie ein Oberlehrer, den Kalauer/Calembour als „die niedrigste Abart des Wortwitzes“ ein. Er erzählt aber auch eine kleine Episode. Einer seiner Freunde, „sonst das Muster an Bescheidenheit, beantwortete in aufgeräumter Stimmung jede an ihn gerichtete Rede mit einem Kalauer. Als die Gesellschaft, die er so in Atem hielt, der Verwunderung über seine Ausdauer Ausdruck gab, sagte er: ,Ich liege auf der Ka- Lauer.‘“

„An den Haaren herbeigezogen“, lautet der Kommentar zu derartigen Wortwitzen, wie ihn ein zeitgenössischer Schriftsteller, nicht in Wien, sondern in Wilflingen zu Hause, parat hat. Ernst Jünger, frankophil bis in die Glossen, hat en passant über den Calembour nachgedacht. Dabei fiel ihm eine Zeitschrift namens Tintamarre ein, „das verrückteste Journal“, in dem Calembours fabriziert würden, „wie man anderswo Brötchen bäckt“ – bloß keine Hamburger.

In einem anderen Essay, dem „Lob der Vokale“, hat Jünger, bei Gelegenheit des Umlautes „au“, dem Klang dieser Silbe eine doppelte Wirkung beigemessen: Schatten und Schwindel zugleich. Auf unser Forschungsobjekt greift der Autor dabei nicht zurück. Wir tun es. Denn wir erleben den dualen Widerhall der Entdeckung des Wilflingers bei unserer unverdrossenen Suche nach einer eindeutigen Kausalität des Kalauers zuweilen schon am eigenen Leibe.

Versuch einer Zwischenbilanz, topographisch: Wilflingen nahe Kalenberg, Wien zwischen Calau und Berlin, aber auch Wien bei Kalenberg, nahe... – das zieht einem die Schuhe aus. Barfuß weiter.

Unterwegs begegnen wir einem „Professor K. Lauer“, der das Jüngersche Suchspiel mit dem Klang des Einsilblers um eine Variante erweitert hat. Mit „au“, so der Berliner Gelehrte anno 1892, werde die Pointe desjenigen Witzes quittiert, der nicht weit vom Stamme Kalau fällt.

Den Weg ins örtliche Museum mit seiner Schusterecke ersparen wir uns, denn eine Gedenktafel inmitten der hiesigen Geschäftswelt verheißt endgültige Aufklärung.

Ein Haus weiter ein Elektroladen, endlich. Über dem Schaufenster voller Waschmaschinen und Staubsauger wohnt der Ortschronist Herbert Schulze. Der Rentner dementiert nur die klappernden Holzpantinen der Reisezeitschrift – Knobelbecher waren die Calauer Spezialität, betont er.

Statt Klappern also Dröhnen! Umgekehrt wird ein Schuh draus. Herr Schulze, der nie Schuster war, erzählt kundig von der Tradition der Meister, Gesellen und Lehrlinge im Kollektiv an der Werkbank und von ihren Witzen bei der Arbeit (Hans Sachs läßt grüßen); vom Calauer Bankier Ball und seiner Karriere in Berlin, von dessen Freund Dohm, Chefredaktuer beim Berliner Satireblatt Kladderadatsch und ihrer gemeinsamen Sommerfrische in Calau; von Dohms Witzesammelei bei den einheimischen Schuhmachern und vom allwöchentlichen Verzweiflungsruf in der Redaktion, wo denn „die Kalauer“ blieben.

Im Blatt eine derartige Rubrik zu suchen, ist vergebliche Liebesmüh. Wahren Kalauern hat der Kladderadatsch seine Spalten nie geöffnet. Gegründet wurde das Blatt, berichtet Schulze, im Revolutionsjahr 1848 als „Organ für und von Bummler“ (sic!) und wurde fast 100 Jahre alt. Im August 1850, immerhin, findet sich – der Wilflinger wäre angetan – ein „Calovien Français“: „Mlle. Rachel pourquoi est-elle si maigre? Parcequ'elle ne se nourrit que de Racine(s).“

Ein Jahr später, in einer Sondernummer zur Londoner Industrieausstellung, wird Calau sage und schreibe als Herkunftsort für „ein paar Stiefel und zwei gußeiserne Witze“ angeführt.

Herr Schulze beendet das Kolleg, gibt noch eins darauf und legt ein Beispiel aus der Calauer Schule nach: „Warum hat der Schuhmacher Krause eine Glatze? – Weil die Neger Krauses Haar haben!“

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