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Kein Ort, nirgends?

Ein Sampler über US-amerikanische Ansätze einer feministischen Stadt ist instruktiv und irritierend zugleich / Sind Frauen a priori Opfer räumlicher Strukturen?  ■ Von Robert Kaltenbrunner

Daß unsere Gesellschaft auf dem schlüpfrigen Pfad zwischen Hochglanz und verborgener Armut entlang schliddert, wird nirgends deutlicher als in ihren Städten. Dabei erschien Stadtentwicklung lange Zeit als räumliches Abbild von Integration und sozialem Aufstieg. Doch das hat sich grundlegend gewandelt. Ausgrenzung hat das Ideal der Integration ersetzt. Und Frauen sind von all dem in besonderem Maße betroffen.

Schon deswegen liegt es auf der Hand, daß sie Gegenstrategien entwickeln. Die Vereinigten Staaten, mit ihren etablierten women studies ohnedies an vorderster akademischer Front, gelten da als besonders avanciert. Marianne Rodenstein unterzog sich der Mühe, die wichtigsten Strömungen und ihre (vermutete) Tragweite vorzustellen. Herausgekommen ist ein Buch, das feministische Stadtplanung zum Thema, aber die Probleme von Frauen in der großen Stadt zum eigentlichen Inhalt hat. Das dargebotene Spektrum ist weit, reicht von gesellschaftspolitischer Grundsatzkritik bis zur bildhaften Vorstellung kollektiver Wohnformen. Neben der Skizze, wie Frauen ihre lokalpolitische Bedeutung stärken, steht ein Modell für die Unterbringung obdachloser Frauen oder der Ruf nach einer „veränderten Ausbildung, die anders als bisher im theoretischen wie praktischen Bereich geschlechtsspezifische Lebensweisen und Interessen anerkennt“.

Das alles ist zweifellos bereichernd. Nicht zu leugnen ist allerdings, daß eine genaue Inhaltsbestimmung nicht erfolgt. Ohnehin ist es ein schwieriges Unterfangen zu definieren, was „nicht-sexistische Stadt“ heißt oder heißen soll. Auch Begriffe wie „Sicherheit“ oder „Unsicherheit“ erlangen ihre eigentliche Bedeutung dadurch, daß sie sich der exakten Festlegung entziehen. Genau das gibt ihnen ihre bedrohliche Kraft.

Die unbewältigte Komplexität mindert jedoch nicht den Informationswert. Die Autorin ist versiert genug, um inhärente Widersprüche zu erkennen und zu benennen. Zunächst einmal bemüht sie sich festzuhalten, daß die Frauenbewegung kein monolithischer Block ist, in den USA noch weniger als hierzulande. Innerhalb der Woman's Lib herrscht ein gewisser Pragmatismus vor, auch und gerade im Umgang mit möglichen Koalitionspartnern. Eher unprätentiöse Reform als ideologischer Kampf ums Ganze sind kennzeichnend. Zudem hat sich der Schwerpunkt von Strategie und Zielsetzung mehrmals verlagert.

Eine eklatante Verschiebung wird im Rückblick schnell offenbar. Bis zum Ende der siebziger Jahre erklärte die Frauenbewegung die (gesellschaftlichen) Unterschiede zwischen Männern und Frauen als Erbe der weiblichen Unterdrückung und ihres Ausschlusses von allen gesellschaftlich positiv bewerteten Aktivitäten, sie strebte Gleichheit in sozialer, ökonomischer und politischer Hinsicht an. Danach und daneben entwickelte sich jedoch ein, wie Iris Marion Young es nennt, „feministischer Separatismus“, der es vehement ablehnte, Frauen an den von Männern gesetzten Maßstäben zu messen, und statt dessen auf „empowerment“, auf Stärkung des weiblichen Selbstbewußtseins durch Selbstorganisation, zielte. Allerdings ist hier mehr gemeint: „Statt Frauen länger als Opfer der patriarchalischen Verhältnisse zu sehen, findet eine Aufwertung der sog. ,weiblichen‘ Werte der Fürsorge und der kooperativen sozialen Beziehungen statt.“

Davon ausgehend unterscheidet Marianne Rodenstein zwei Strategien, die derzeit eingeschlagen werden. Einerseits der Versuch, die alltägliche politische Praxis zu ändern durch Selbsthilfegruppen, in Bürgerinitiativen und der Kommunalpolitik. Andererseits die Veränderung der Theorien, d.h. vornehmlich im Wissenschaftsbereich. Glücklicherweise läßt sich aber beobachten, daß das Bedürfnis nach Zusammenführung durchaus besteht. Die feministischen Stadtplanungsansätze der Women's Lib haben sich, zunächst mit bundesstaatlicher Hilfe, in der Carter-Ära entwickelt. Im Vordergrund standen dabei nicht eigene konzeptionelle Planungen, sondern Analyse und Kritik des Bestehenden und bestenfalls gutachterliche Entwürfe. Auch das hat seinen Grund: Wenn schon die Frage, wie eine „frauengerechte“ Stadt aussehen müßte, nicht kohärent und einhellig zu beantworten ist, wie soll frau dann einen Entwurf dafür liefern? Die Grenzen der Planbarkeit werden hier in besonderer Weise sinnfällig, weil selbst die vielbeschworene Urbanität als eine Mentalität erscheint, die sich nicht auf einen gebauten Stadtkörper abstützen kann. Sie ist Sozialisationsprodukt.

In der Art und Weise, wie das Planen und Bauen als dezidiert feministisches Thema begriffen wird, berührt es einen weiteren Problemkreis. Es ist zu fragen, ob nicht eine solche Untersuchungsperspektive a priori unterstellt, daß Frauen Opfer räumlicher Strukturen seien. Bei all den vielen bedenkenswerten Ansätzen scheint mir etwas Grundsätzliches unterschlagen zu werden: daß Planung als Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse zwar sicherlich ein Symptom, nicht aber die Ursache von Sexismus, Gewalt gegen Frauen, Ausgrenzung etc. ist. Da dem so ist, kann das Problem selbst ergo nicht (allein) mit planerischen Mitteln gelöst werden (und mit architektonischen schon gar nicht).

Wenngleich also von Marianne Rodenstein (oder dem Verlag?) zu vollmundig „Wege zur nicht-sexistischen Stadt“ versprochen werden, stellt das Buch insgesamt doch eine facettenreiche und gut lesbare Übersicht dar. Das Buch bereitet nicht bloß ein Segment der women studies auf, sondern unterstreicht die grundsätzliche Relevanz eines Themas, das keineswegs „nur“ die eine Hälfte der Bevölkerung betrifft. Und es vermag die Aufnahmebereitschaft für solche Problemlagen zu fördern, weil soziale oder geschlechtsspezifische Gegensätze (und der topographische Ausdruck, den sie in der Stadt finden) vielleicht auch dem/der Unbedarften stärker ins Auge fallen.

Marianne Rodenstein: „Wege zur nicht-sexistischen Stadt. Architektinnen und Planerinnen in den USA“, Kore-Verlag, Freiburg i.Br. 1994, 156 Seiten, 19 S/W- Abb., 30 DM

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