Die CSU und das „wehrlose Volk“ der Nazis

■ Schwieriges Erinnern: Nürnberg „als Stadt des Friedens“ im Gedenkjahr 1995

Nürnberg (taz) – Um Punkt 18.43 Uhr läuteten am Montag die Glocken aller Nürnberger Kirchen. Wenig später versammelten sich bei Temperaturen um den Gefrierpunkt etwa 7.000 Menschen vor der Lorenzkirche, um sich Filmaufnahmen der am 2. Januar 1945 von alliierten Bomberangriffen zu 90 Prozent zerstörten Altstadt anzusehen. Oberbürgermeister Peter Schönlein (SPD) forderte in einer kurzen Rede auf, „Krieg, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus ein klares Nein entgegenzustellen“ und „die richtigen Lehren aus der Katastrophe des 2. Januar 1945 zu ziehen“.

Einst des „deutschen Reiches Schatzkästlein“, dann die „Stadt der Reichsparteitage der NSDAP“, soll Nürnberg mit dem Gedenkjahr 1995, wenn es nach den Stadtvätern geht, zur „Stadt des Friedens und der Völkerversöhnung“ mutieren. 1995, das bedeutet für Nürnberg nicht nur 50 Jahre Befreiung vom Nationalsozialismus, sondern eben auch 60 Jahre Nürnberger Gesetze und 50 Jahre Kriegsverbrecherprozesse.

Zwei Jahre lang hatte ein Trägerkreis aus Stadt, beiden Kirchen, der Israelitischen Kultusgemeinde und Gewerkschaften an der Inszenierung des Gedenkjahres unter dem Motto „Erinnerung ist nicht teilbar“ mit dem Auftakt am 2. Januar gefeilt.

An jenem 2. Januar 1945 wurde Nürnberg nicht nur wegen seines Symbolwerts für die Nazi-Bewegung, sondern auch als Standort von Großbetrieben der Rüstungsindustrie Ziel eines alliierten Luftangriffs. An die Trümmerlandschaft sollen jetzt 17 Großbildwände, quer über die Innenstadt verteilt, und die Gedenkfeier am Abend des 2. Januar mit den bislang unentdeckten Filmdokumenten über das zerstörte Nürnberg erinnern.

„Es bestand die Gefahr, daß durch den Film in der Urform nur die alliierten Bombenangriffe ins öffentliche Bewußtsein gerückt werden, die Taten des Nationalsozialismus aber verdrängt werden“, erkannte Michael Popp, Koordinator des Gedenktages, die Problematik. So beauftragte die Stadt den Filmemacher Ernst Gortner, die Bombardierung als logische Konsequenz des Angriffskrieges darzustellen.

Auf die Gedenkjahrpremiere folgen jetzt knapp 170 Veranstaltungen der unterschiedlichsten Träger. Mit Georg Batz von der lokalen Thomas-Dehler-Stiftung ist jedoch ein Referent gleich sechsmal vertreten, der in seiner bisherigen Veranstaltungen schon Rechtsextremisten wie Pierre Krebs, den Chef des neurechten Thule-Seminars, oder den Schweizer Auschwitz-Leugner Arthur Vogt salonfähig gemacht hat. Die Stadt glaubt jedoch, mit der Aufnahme von Batz ins offizielle Programm „keinen Fehler“ begangen zu haben. „Wir können nicht die Vita jedes Referenten nachprüfen.“

Auch der 20. April 1995 als großer Festtag in Nürnberg bereitet den städtischen Planern keinerlei Bauchschmerzen. An diesem Tag vor 50 Jahren nahmen die Amerikaner Nürnberg ein. An diesem Tag zelebrieren aber Neonazis alljährlich den Geburtstag des „Führers“. „Jeder Verzicht auf eine Feierstunde wäre ein Zurückweichen vor den Rechtsextremisten“, erklärt Mathias Oberth vom Presseamt der Stadt.

Mit der erstmaligen Verleihung des „Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises“ sowie Symposien über Rassismus versuchen die Träger des Gedenkjahres einige wenige aktuelle Bezüge der Erinnerung herzustellen. Daß es die schon vor der eigenen Haustüre gibt, beweist der CSU-Bezirksverband.

In der Januarausgabe ihrer Zeitschrift Der Nürnberger bezeichnet der Ex-Landtagsabgeordnete Sieghard Rost den 8. Mai als „Tag der Befreiung und der Bestrafung“. „Für die Deutschen in ihrer überwiegenden Mehrheit“ sei er „ein Leidenstag“. So auch Ex-Bauminister Oscar Schneider: Er erinnert sich an den 2. Januar, als „Kriegsfurien“ gegen das „wehrlose Volk, gegen eine schutzlose Stadt Krieg führten“. Bernd Siegler