: Tiefschlaf beim Versöhnungssex
■ Jeff LeVines „No Hope“-Comics
Frage: Warum ist MTVs Real World nicht real? Antwort: Weil die Leute miteinander reden anstatt fernzusehen. In einer Episode von Jeff LeVines „No Hope“ trifft eine Männer-WG den heroischen Entschluß, den Kabelanschluß abzubestellen. Von nun an redet man. Allerdings nur über zwei Fragen: Was soll man machen, wenn man nicht fernsieht? Und: Soll man sich wieder ans Kabel anschließen lassen? Zäh kreisende Dialoge, weinerliche Monologe, ein nichtssagender Gegenstand, alles, was eine Sitcom braucht, nur daß in „No Hope“ über die Entleerung nicht richtig gelacht werden kann. Nie war so unklar, ob es ein Leben nach dem Fernseher gibt. Horror vacui televisionis.
Schwarz beherrscht Jeff LeVines Zeichnungen, nur selten erzeugen Schraffuren Raum, den Menschen und Gegenständen wird mit krickeligen Strichen eine notdürftige Kontur verpaßt. Keine speed lines, keine exaggerations – groteske, zeichentrickhafte Prügelszenen oder Fratzen. Das Leben der Hauptpersonen John und Kathy wird mehr seziert als erzählt. John, ein Hänger in Grunge- Outfit auf Jobsuche, will nicht viel. Er will eigentlich nur eines: keinen Streß. Ein lethargischer Schnorrer, der seine Freundin Kathy damit bis aufs Blut reizt. Kathys Alltag ist eine Mischung aus Tristesse, Verstellung und Enttäuschung. Ihr Job und ihre KollegInnen kotzen sie an. In jedem anderen Comic bliebe es bei dieser hingerotzten Aussage. In „No Hope“ kommt Kathy pünktlich zur Arbeit und grüßt freundlich ihre KollegInnen. Jeff LeVine läßt seinen Figuren nicht den Stolz, Außenseiter zu sein. Er zeigt alltägliche Unterwerfungsgesten; nicht einmal die abendliche Sauftour bringt Befreiung. Überall lauern Katastrophen, Enttäuschungen, Verletzungen. Statt endlich abschalten zu können, muß Kathy sich die Sülze eines Bekannten anhören, dessen Freundin von den Eltern in eine psychiatrische Anstalt abgeschoben wurde. „Das Beste ist, wenn wir uns nie wiedersehen“, ist dessen zynischer Kommentar dazu. Ihren Zorn über diesen Typen läßt Kathy an John aus. Beim Versöhnungssex schläft John ein. Vielleicht ist das die schwärzeste Aussage von „No Hope“: Selbst Sex beendet nicht das Alleinsein. Kein Panel war je trister als Kathy allein im Bett, nachdem sie harten Sex mit John hatte – große Lust neben grauer Einsamkeit.
Die Existentialisten trugen schwarze Rollkragenpullover, hörten Jazz und erschreckten damit ihre Eltern so sehr, daß sie sich als Avantgarde fühlen konnten. Punk setzt auf exzessive Zertrümmerung. Gesten waren Argumente für ein anderes Leben. Nichts davon in „No Hope“. Kurt Cobain ließ sich mit Gewehr im Mund fotografieren, da half auch kein böses Grinsen in die Kameras von MTV unplugged mehr. Seine Frau bezichtigte ihn vor den Fans, daß er sich davongestohlen habe. Das Leben als zerstörerische Schmierenkomödie, so erzählt LeVine seine Geschichten. Die Gesten sind lächerlich. Alle Katastrophen stehen noch bevor. Im Fernsehen werden wir sie zuerst zu sehen bekommen. Wer „No Hope“ gelesen hat, ist darauf vorbereitet. Martin Zeyn
„No Hope“ von Jeff LeVine. Jochen Enterprises, Berlin 1994, 9,90 DM
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