Kopftuch

■ betr.: „Sie sind ein Papagei“ (Tas lima Nasrin und das Kopftuch), taz vom 17. 12. 94, Leserinnenbrief von Kerstin Witt, taz vom 2. 1. 95

Was Frau Witt unter Toleranz in der islamischen Geschichte versteht, möchte ich als Moslemin, besser gesagt als eine, die in dieser Kultur aufgewachsen ist, gerne wissen. Etwa die Tatsache, daß die Christen und Juden als Kopfsteuerbezahler geduldet wurden? Das nenne ich nicht Toleranz, sondern eine Formulierung der Menschenverachtung.

Die Behauptung, daß der Islam tolerant war, ist zu oberflächlich und deutet auf eine mangelnde Geschichtskenntnis hin. Die Islamisierung Mittelasiens unterscheidet sich kaum von der Christianisierung Südamerikas. Die moslemischen Gelehrten, die das große Verbrechen begingen, anders gedacht zu haben, wurden getötet oder durch andere Mittel zum Schweigen gebracht, auch in der sogenannten islamischen Blütezeit. Daß heute zum Beispiel die bosnischen Moslems eine tolerante Linie vertreten, liegt daran, daß sie den Islam nicht erleben, wie er im Koran gepredigt wird.

Diejenigen, die wegen des Gebots im Koran Kopftuch tragen, befinden sich schon auf dem Weg zur Intoleranz. Die Weltordnung, die der Koran anbietet, ist nichts anderes als die Überlegenheit der Moslems den Andersgläubigen gegenüber und die Hierarchie unter den Moslems, in deren Rollenverteilung es keinen Raum für die individuellen Vorzüge gibt, was mich immer wieder an den Faschismus erinnert. Mag sein, daß die westlichen Multikultifans gerne Damen mit Kopftuch herumlaufen sehen wollen. Aber es handelt sich nicht nur um eine bloße Trachtenfreiheit. Wenn es doch so wäre! Belgin Aksoy