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Aufstieg aus afrikanischen Ruinen

Zu Kolonialzeiten galt Uganda als die „Perle Afrikas“, unter Idi Amin als Inbegriff der Despotie, in den 80er Jahren als Afrikas schlimmstes Schlachtfeld. Heute herrscht Frieden. Für immer?  ■ Aus Kampala Bettina Gaus

Der Mann spinnt“, meint der Fahrer des allradgetriebenen Geländewagens. „Der weiß einfach nicht, wie schnell ein Auto ist.“ Rund sechs Stunden Fahrzeit hatte der Kellner im ugandischen Hoima für die knapp 200 Kilometer entfernt gelegene Sadt Fort Portal veranschlagt. Er sollte fast auf die Minute recht behalten. Pfützen, die mittleren Teichen gleichen, Geröllhalden und tiefgefurchte Schlammfelder bilden das, was die Landkarte als „Allwetterstraße“ ausweist – eine der besseren Verkehrsverbindungen Ugandas. Sie führt an ärmlichen Dörfern mit strohbedeckten Lehmhütten vorbei. Selten nur weist ein Schild auf eine Schule hin, noch seltener auf ein Krankenhaus. Der Fahrer, der sich einen Weg wie diesen nicht vorstellen konnte, kommt aus Uganda. Aber er lebt in einer anderen Welt: in der Hauptstadt Kampala. Sie ist das Herzstück des alten, wohlhabenden Königreiches Buganda, wo die Hauptstraßen geteert sind und wo auch viele Bauern es sich leisten können, ihre Häuser aus Stein zu bauen und mit Wellbelch zu decken.

Seit anderthalb Jahren gibt es in dem Königreich auch wieder einen König. 1966 hatte der damalige Ministerpräsident Milton Obote in einem Staatsstreich die Monarchie abgeschafft. Ugandas heutiger Präsident Yoweri Museveni versetzte die Könige verschiedener Provinzen 1993 wieder in Amt und Würden, um die Unterstützung ihrer Anhänger zu sichern. Eine Gegenmacht wollte er damit nicht errichten: Allein kulturelle, nicht aber politische Aufgaben sollen die Monarchen wahrnehmen.

Ob die Rechnung des Staatsoberhauptes aufgeht? „Der Beraterkreis des Königs von Buganda ist jetzt schon eine Art Nebenregierung mit politischen Ambitionen“, meint ein westlicher Beobachter. „Museveni hat die Wirkung der Monarchie unterschätzt.“ Die Oppositionspolitikerin Cecilia Ogwal (UPC) sieht das ähnlich: „Ganz eindeutig hat die Monarchie politischen Einfluß. Es ist völlig ausgeschlossen, daß der König die politische Debatte zu irgendeinem Thema nicht beeinflußt.“

Der Kabaka, wie der offizielle Titel des Monarchen von Buganda lautet, hält sich im Gespräch mit brisanten Stellungnahmen zurück. Ronald Mutebi, so sein bürgerlicher Name, hat sich im britischen Exil sein Geld als freier Journalist verdient und bemüht sich jetzt um das Kunststück, traditionelle Würde mit moderner Nonchalance zu verbinden. Plaziert auf einem bequemen Sessel in ehrfurchtsgebietender Entfernung zu seinen Besuchern, die auf Plastikstühle gebeten werden, äußert der 27jährige im grauen Nadelstreifenanzug im Plauderton unverbindliche Allgemeinplätze. Sein Verhältnis zu Museveni sei ausgezeichnet. Nein, der politischen Macht fühle er sich nicht beraubt, er persönlich habe sie schließlich nie innegehabt. Falls nötig, werde er sich aber selbstverständlich zu politischen Kommentaren veranlaßt fühlen. Und wann ist das nötig? Der Kabaka lächelt und schweigt.

Daß Bewohner anderer Regionen mit Mißtrauen und Neid auf den Wohlstand seines Königreiches blicken, ist dem Monarchen unverständlich. „Ich bin für ein starkes Bugunda, das hilft dem ganzen Land. Eine Gegend mit großem ökonomischem Potential kommt Uganda im Ganzen zugute.“ Andere Ugander haben da ihre Zweifel. „Die anderen Völker haben Angst vor den Baganda“, meint Ben Ochan, Redakteuer der staatlichen Tageszeitung New Vision. „Sie fürchten, daß die allzu mächtig werden.“ Solche Stimmen sind auch im Landesinneren immer wieder zu hören: „Die Baganda wollen, daß ihre Einkünfte möglichst in Kampala bleiben und nicht etwa anderen Distrikten zugute kommen“, glaubt die Verwaltungsangestellte Christine Apolot in der Kleinstadt Luwero.

Die Chancen der Baganda dafür stehen gar nicht so schlecht. In der Verfassunggebenden Versammlung (CA), die seit Juni in Kampala tagt, wird um eine Frage gerungen, die von entscheidender Bedeutung für die Beziehungen zwischen den Regionen Ugandas ist: Soll in dem Land der Föderalismus eingeführt werden – oder das beibehalten werden, was die Regierung „Dezentralisierung“ nennt, was jedoch vor allem auf die Stärkung der Zentralmacht hinausläuft?

Gegenwärtig ist das Land in 39 Bezirke eingeteilt. Von der Regierung in Kampala bis hinunter zu den „Widerstandsräten“ in den Kommunen setzen auf fünf verschiedenen Hierarchieebenen Vertreter der regierenden NRM (Nationale Widerstandsbewegung) die politischen Richtlinien der „Bewegung“ in Praxis um. Der Aufbau erinnert an die Struktur sozialistischer Einparteiensysteme, und er hat viele Gegner: „Wir sind überzeugt, daß die Leute sich endlich selbst regieren sollen“, erklärt Kabaka seinen Wunsch nach Einführung des Föderalismus. „Bei der Dezentralisierung kann Macht, die erteilt worden ist, auch wieder weggenommen werden. Im Föderalismus wird Macht dauerhaft vom Zentrum an lokale Regierungen delegiert.“

„Wenn in einer abgelegenen Region Föderalismus eingeführt wird, was dann?“ fragt dagegen Ben Ochan. „Da gibt es dann vielleicht eine Schule, ein Krankenhaus aus der Kolonialzeit und sonst nichts. Wo sollen die Leute ihre Mittel herbekommen?“ Der Rechtsanwalt Charles Owor, der als Delegierter für ein Dorf nahe der Grenze zum Sudan in die CA gewählt wurde, lehnt Föderalismus ebenfalls ab: „Die meisten unserer Leute wollen kein System, mit dem ihre wirtschaftliche Unterlegenheit noch weiter festgezurrt wird.“

Owor bezeichnet sich als Anhänger des UPC (Ugandischer Volkskongreß), der Partei des ehemaligen Staatschefs Milton Obote. Heute ist der UPC eine der Oppositionsparteien Ugandas, die derzeit nicht aktiv werden dürfen, deren Existenz aber stillschweigend geduldet wird. Owor ist gegen Föderalismus, die Spitze seiner Partei jedoch dafür: Sie sieht darin die Möglichkeit, ihren Einfluß auf regionaler Eebene zu vergrößern. Die politische Landschaft Ugandas ruft zu unterschiedlichen Fragen wechselnde Allianzen hervor.

Das Wirtschaftsgefälle zwischen den Regionen des Landes ist ein Hauptgrund dafür, daß in den letzten Jahrzehnten immer wieder blutig um die Macht gekämpft worden ist. Fast neun Jahre ist es her, daß der einstige Guerillaführer Yoweri Museveni die Macht eroberte. Seither herrscht – von Scharmützeln mit Rebellengruppen im Norden abgesehen – weitgehend Frieden in dem geschundenen Land. Im Ausland hat das dem Präsidenten einen guten Ruf eingetragen. Wie aber läßt sich der Friede auf Dauer erhalten? Die Meinungen darüber prallen im Lande selbst hart aufeinander.

Von Demokratisierung und endgültiger Befriedung des Landes sprechen alle. Musesenis NRM versteht darunter die Mitgliedschaft aller Bürger in der „Bewegung“, eine mehrjährige Verlängerung ihrer Amtszeit und ein zeitlich unbegrenztes Verbot parteipolitischer Aktivitäten. All das soll jetzt auch noch in der Verfassung verankert werden. Dafür streiten die NRM-Delegierten derzeit in der CA, deren Arbeit sich immer weiter hinzieht, weshalb auch die einst für 1994 vorgesehenen Wahlen jetzt wieder um ein Jahr verschoben wurden. Denn solange die neue Verfassung nicht steht, gibt es auch kein Wahlgesetz – und folglich keine Wahlen.

„Wir glauben, daß Museveni von Natur aus ein Diktator ist, der alles tut, um mit undemokratischen Mitteln an der Spitze zu bleiben.“ Cecilia Ogwal von der UPC hat für die gute Meinung zahlreicher ausländischer Beobachter von der Regierung nur ein Hohnlachen übrig: „Museveni hat es geschafft, der internationalen Gemeinschaft vorzumachen, alles, was er tue, sei nur für eine Übergangsperiode bestimmt und habe das Ziel der Demokratisierung. Ich denke das nicht. Man erreicht Demokratie nicht mit undemokratischen Maßnahmen.“

Im Büro der Oppositionspolitikerin steht ein lebensgroßes Standbild des Mannes, der offiziell noch immer Vorsitzender der UPC ist, obwohl er seit Jahren im Exil in Sambia lebt: Milton Obote. In seiner zweiten, fünfjährigen Amtszeit in den 80er Jahren sollen mehr Menschen umgebracht worden sein als unter dem berüchtigten Militärherrscher Idi Amin. Wie konsequent würde Cecilia Ogwal für die Rechte der Opposition eintreten, wäre sie an der Macht? Die Politikerin lächelt milde: „Um Mißbrauch auszuschließen, will ich das ja gerade alles in der Verfassung verankert sehen.“ Was ihr Vorsitzender von derartigen Dokumenten hält, stellte er in der ersten Amtsperiode in den 60er Jahren unter Beweis: Er setzte die Verfassung außer kraft.

Mit derlei Einwänden allein jedoch lassen sich bei weitem nicht alle Vorwürfe von Regierungskritikern entkräften. Der CA-Delegierte Charles Owor zeigt durchaus Verständnis dafür, das Mehrparteiensystem jetzt noch nicht einzuführen. Der Zustand der Parteien sei schlecht, die Bevölkerung unzureichend vorbereitet. Aber Owor ist auch gegen die von der NRM geplante Verlängerung ihrer Amtszeit für weitere fünf Jahre: „Ich würde eine Regierung der nationalen Einheit vorziehen, die viele verschiedene politische Institutionen mit einbezieht.“

Aber die gebe es doch, argumentieren Regierungsvertreter – und tatsächlich sind im Kabinett unterschiedliche politische Strömungen vertreten. Von „Einheit in der Vielfalt“, von einer „Politik der Integration, der Versöhnung, der Demokratie“ spricht Außenminister Rugunda Ruhakana: „Das wichtigste ist, daß unsere Regierung von einer breiten Basis der Bevölkerung getragen wird.“

Vieles in Uganda hängt vom Blickwinkel des Betrachters ab – und davon, wem er Glauben schenkt. Die Regierung kann im Bereich der Demokratisierung durchaus einiges vorweisen. Die Wahlen zur CA vom Frühjahr 1994 brachten neben NRM- Vertretern auch Delegierte in die Versammlung, die aus ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der „Bewegung“ keinen Hehl machen. Menschenrechtsorganisationen können offen und weitgehend ungehindert arbeiten, die Pressefreiheit in Uganda war niemals größer als heute. Selbst in der Tageszeitung New Vision wird schonungslos über Menschenrechtsverletzungen berichtet. „Wenn wir darüber schreiben, ist das sogar gut für die Regierung. Wir verdammen ja damit nicht das System“, erklärt Redakteur Ben Ochan.

„Ich kann Kritik üben, aber ich kann nicht das gesamte Konzept der Regierung verurteilen oder die ,Bewegung‘ für verfassungsfeindlich erklären. Es gibt eine Grenze“, beschreibt Rechtsanwalt Livingstone Sewanyana, Gründer einer Menschenrechtsorganisation, das ugandische System. Er weist darauf hin, daß es in Uganda nach wie vor möglich ist, verhaftet und drei Jahre ohne Urteil in Haft gehalten zu werden. „Du mußt hier Selbstzensur üben.“

Der Prozeß der Demokratisierung in Uganda scheint dem sprichwörtlichen Glas zu gleichen: Es ist halb leer – und halb voll. Immerhin leben hier wieder Halbwüchsige, die Bürgerkrieg und staatlichen Terror nur aus Erzählungen Älterer kennen. Das hat es seit der Unabhängigkeit 1962 nicht gegeben. In Ruanda, im südlichen Sudan und Zaire, die alle drei an Uganda grenzen, sind solche Jugendlichen nicht zu finden.

Fortsetzung

„Ich würde eine Regierung der nationalen Einheit vorziehen, die viele verschiedene politische Institutionen mit einbezieht.“

Aber die gebe es doch, argumentieren Regierungsvertreter – und tatsächlich sind im Kabinett unterschiedliche politische Strömungen vertreten. Von „Einheit in der Vielfalt“, von einer „Politik der Integration, der Versöhnung, der Demokratie“ spricht Außenminister Rugunda Ruhakana: „Das wichtigste ist, daß unsere Regierung von einer breiten Basis der Bevölkerung getragen wird.“

Vieles in Uganda hängt vom Blickwinkel des Betrachters ab – und davon, wem er Glauben schenkt. Die Regierung kann im Bereich der Demokratisierung durchaus einiges vorweisen. Die Wahlen zur CA vom Frühjahr 1994 brachten neben NRM- Vertretern auch Delegierte in die Versammlung, die aus ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der „Bewegung“ keinen Hehl machen. Menschenrechtsorganisationen können offen und weitgehend ungehindert arbeiten, die Pressefreiheit in Uganda war niemals größer als heute. Selbst in der Tageszeitung New Vision wird schonungslos über Menschenrechtsverletzungen berichtet. „Wenn wir darüber schreiben, ist das sogar gut für die Regierung. Wir verdammen ja damit nicht das System“, erklärt Redakteur Ben Ochan.

„Ich kann Kritik üben, aber ich kann nicht das gesamte Konzept der Regierung verurteilen oder die ,Bewegung‘ für verfassungsfeindlich erklären. Es gibt eine Grenze“, beschreibt Rechtsanwalt Livingstone Sewanyana, Gründer einer Menschenrechtsorganisation, das ugandische System. Er weist darauf hin, daß es in Uganda nach wie vor möglich ist, verhaftet und drei Jahre ohne Urteil in Haft gehalten zu werden. „Du mußt hier Selbstzensur üben.“

Der Prozeß der Demokratisierung in Uganda scheint dem sprichwörtlichen Glas zu gleichen: Es ist halb leer – und halb voll. Immerhin leben hier wieder Halbwüchsige, die Bürgerkrieg und staatlichen Terror nur aus Erzählungen Älterer kennen. Das hat es seit der Unabhängigkeit 1962 nicht gegeben. In Ruanda, im südlichen Sudan und Zaire, die alle drei an Uganda grenzen, sind solche Jugendlichen nicht zu finden.

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