: Hilflos nach Durchkentern
■ Unglücks-Seenotkreuzer „Alfried Krupp“ wird in Vegesack bei Lürssen repariert
Die „Alfried Krupp“ ist ein geschundenes Schiff. Der Seenotrettungskreuzer der „Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger“ (DGzRS) liegt zur Reperatur in der Vegesacker Lürssen-Werft, wo er 1988 gebaut wurde. Auf den ersten Blick hat das Schiff ein paar ordentliche Beulen und Schrammen abbekommen. Bei genauem Hinsehen erzählen die Beschädigungen allerdings die Geschichte des schwersten Unfalls der deutschen Seenotretter seit fast 30 Jahren: Zwei Besatzungsmitglieder wurden bei einem Einsatz des Schiffes am Neujahrsabend im schweren Sturm über Bord gerissen. Die Suche nach ihnen wurde am Mittwoch ergebnislos eingestellt.
Bei blauem Himmel, strahlender Sonne und spiegelglattem Wasser liegt das Schiff im Vegesacker Hafen. Die Aussagen der Überlebenden und die Schäden am Schiff ergeben allerdings das Bild eines tosenden Infernos, in das die „Alfried Krupp“ in der Neujahrsnacht geraten sein muß. Die offene Kommandobrücke des Kreuzers sieht aus wie ein Kleinwagen nach einem Frontalzusammenstoß: Die zentimeterdicke Plexiglasscheibe ist zersplittert und bis auf einen kleinen Rest aus der Halterung gedrückt und verschwunden. Die massive Aluminiumwand im Rücken des Fahrstandes ist umgeknickt wie Pappe, der Mast, auch er aus starkem Metall, baumelt links am Schiff herab und ist mit einem Tau gesichert. An den Aufbauten zeigt das Schiff Beulen, die Farbe platzt an manchen Stellen ab, die Reling ist beschädigt und niedergequetscht. Das Schiff ist die zweitgrößte Version seiner Baureihe und soll auf jeden Fall wieder repariert und aufgetakelt werden, denn ein neues Schiff kostet einige Millionen: Eine teure Angelegenheit für die DGzRS, die betont, den Betrieb der Flotte und die Bezahlung ihrer bundesweit 170 hauptamtlichen MitarbeiterInnen ausschließlich über Beiträge und Spenden zu finanzieren. „Der ganze Aufbau des Schiffes ist in sich verzogen, so als ob sich beim Auto die Karoserie verschiebt“, meint DGzRS-Pressesprecher Andreas Lubkowitz. „Wir müssen erst noch sehen, ob das Schiff Schäden am Rumpf hat.“
Denn das schnittige Schiff mit zwei starken Motoren, vollgestopft mit modernster Elektronik und ausgerüstet für jede Art von Hilfsleistung in der Nordsee, geriet auf der Rückfahrt von einem Einsatz vor Borkum selbst in Seenot. Eine „Grundsee“, eine extrem starke und etwa 10 Meter hohe Welle, packte das nur etwa fünf Meter hohe Schiff, drehte es aus dem Kurs, überrollte es und ließ es „durchkentern“: Das gesamte schwere Schiff drehte sich einmal um die eigene Achse und beschrieb eine seitliche Rolle, ehe es sich wieder aufrichtete. Kieloben im Wasser erhielt es einen furchtbarewn Schlag, der lose Gepäckstücke in die Kabinendecke katapultierte, wo sie sich festbohrten.
Bei diesem Durchkentern, das gilt der DGzRS inzwischen als sicher, ging der erste Mann über Bord: Der Maschinist, der sich gerade auf dem Weg unter Deck befand, weil ein Maschinenschaden gemeldet worden war, wurde vom Wasser vom Achterdeck gerissen. Seine Kollegen überstanden die Rolle lebend, aber verletzt: ein Mann unter Deck, der „Vormann“ angeleint auf dem offenen Fahrdeck und ein Mann im unteren Fahrstand mit einem gebrochenen Fußgelenk.
Das Durchkentern versetzte dem Schiff einen argen Schlag: Über zehn Tonnen Wasser seien durch zwei geborstene Scheiben ins Innere eingedrungen und hätten die elektrischen Geräte unbrauchbar gemacht, so Lubkowitz bei der Führung durchs Schiff. Der Besatzung gelang es, über ein Funkgerät ein Notsignal abzusetzen, dann gab auch dieses Gerät seinen Geist auf. Die Seenotretter schossen Notsignale in die Luft, bald war ein Hubschrauber der Marine zur Stelle. Doch die „Alfried Krupp“ hatte bei der Wasserrolle den Antrieb verloren, beide Maschinen hatten sich abgeschaltet. Das Schiff schlingerte zwischen haushohen Wellen im 90-Grad-Winkel nach links und rechts. Unter diesen Bedingungen war es dem Vormann unmöglich, das Seil des Hubschraubers zu ergreifen, haben die Seenotretter den Unfall rekonstruiert. Als er sich vom Vorderdeck mit seinen Kollegen wieder in die Aufbauten zurückziehen wollte, erwischte auch ihn ein Brecher und warf ihn von Bord. Seine Kollegen sahen noch kurz das Leuchtsignal an seiner Jacke, dann war er verloren.
Ein Fehlverhalten kann Lubkowitz bei der Besatzung nicht entdecken. „Klar, es war ein Orkan auf See, aber es war auch die freie Entscheidung der Mannschaft, zur Hilfe auszufahren“, meint er. „Da war ein Mensch in Seenot, und dann haben sie sich entschlossen, zu fahren. Das war ein ganz normaler Einsatz.“
Bernhard Pötter
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