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Bücher gucken

Kinder- und Jugendbücher über die Massenmedien, vorgelesen  ■ von Achim Baum

Frankfurt im Oktober. Buchmesse. Schon vorher hacken alle auf mir herum: Zum allerersten Mal fährst du im Herbst nach Frankfurt? Wohl kein Bücherfreund? Peinlich, peinlich.

Dabei war ich bis dahin mit meinen Ausreden stets zufrieden. Die naheliegendste lautete, zu sehr mit all den anderen Medien beschäftigt zu sein, bei aller Skepsis gegen die Kulturindustrie wenigstens den Mythos „Buch“ nicht aufgeben zu müssen, nicht von der Flut der Neuauflagen ertränkt zu werden, die mich in der Buchhandlung schon reichlich bedroht. Doch jetzt, wo die Elektronik endgültig auch hier Einzug hält, läßt es sich nicht länger aufschieben. Noch einmal eine Buchmesse sehen, wo es nur darum geht: um Bücher.

Stunden später. Erschöpft zieht es mich auf der Suche nach Entspannung zu den Kinderbüchern. Nur noch ein bißchen blättern, Bilder gucken ... Und schon holt dich alles wieder ein: „Walter in Hollywood“, „Ottokar, der Fernsehstar“, „Die Zeitungsmacher“. Kinderbücher über die Welt der Massenmedien.

Hat der Kinderbuchmarkt etwa die Medienpädagogik entdeckt? Wer schmarotzt da bei wem? Oder bahnt sich hier eine neue Symbiose der Massenmedien an, die sich wie ein modriger Schimmelpilz in den Kinderzimmern einnistet? Schließlich haben auch die Fernsehmacher diese Zielgruppe bereits seit langem im Visier. „Ein Durchschnittskind“, so belehren uns jüngste Studien, sieht pro Wochentag „rund zehn Minuten Werbung“ – und das mit Vorliebe bei Pro7 und RTL. Wie sollen da Bücher mithalten können! Was wollen sie überhaupt noch sagen über unsere alltäglichen Begleiter, die mit ihrem aufregenden Flimmern und Rauschen deutlich genug für sich selbst sprechen?

Das Buch im Medienkonzept

Es gibt genügend Traktate über das Lesen. Doch das jüngste – es stammt von dem französischen Lehrer Daniel Pennac – ist ein besonders geglücktes Plädoyer für die Bedeutung des Buchs im lebenslangen Konzert der Massenmedien. Dabei handeln die meisten der 67 kurzen Kapitel eher vom Sprechen als vom Lesen. Lautes Vorlesen, zweckfrei und ohne jede Vorbedingung, ist nach Pennacs Überzeugung der einzige Weg, die Lust am Lesen zu wecken – selbst noch bei jenen Schülern, die, videokontaminiert und cool bis in den ersten Flaum, jede bedruckte Seite für eine Zumutung halten. Im günstigen Fall beginnen die mit einer Geschichte beschenkten ZuhörerInnen, sich selbst zu beschenken, indem sie weiter und weiter lesen.

Das ist ein durchaus einsames Unterfangen. Und es braucht einige Zeit, bis jemand bereit ist, die lesend erworbenen Geheimnisse mit anderen zu teilen. Denn über Bücher zu reden bedeutet schon, die Geschichten zu rationalisieren: der Beginn der Zweckbindung. Und am Ende lauert der Todfeind aller Lektüre: die Leistung. Meist gipfelt sie darin, den Inhalt von Büchern erklären zu müssen, sei es im Schulaufsatz oder in Rezensionen.

All das verbittet sich Daniel Pennac. Und konsequenterweise handeln denn auch die von ihm formulierten, „unantastbaren Rechte des Lesers“ vom „Recht, nicht zu lesen“ über das Recht, „Seiten zu überspringen“ und „irgendwas zu lesen“ bis zu dem „Recht zu schweigen“.

Pennac gehört nicht zu denjenigen, die der Förderlichkeit des Lesens ein ehernes Denkmal setzen wollen. Er schafft keinen Mythos, verspricht weder die ewige Weisheit noch einen goldenen Charakter. Vielmehr ermutigt er uns, die Sache entspannt zu betrachten. Zum Lesen wird man nicht geboren, genausowenig wie zum Fernsehen. Während uns der allzu leichte Medienkonsum auf die Dauer anödet, wächst aber die Lust auf Bücher mit der Zeit. Und so kann das Vergnügen, einen Text zu verstehen, in großen und kleinen Dingen die Urteilskraft stärken: Wir lernen etwa die schöne Kunst, „drum herum zu reden“ und damit uns selbst „zur Geltung zu bringen“. Wir lernen aber auch, mit unserem Zeitbudget umzugehen, das heißt, die Frage zu beantworten, wofür wir die Zeit klauen, ob zum Lesen oder zur Gesellschaft mit anderen, zum Fernsehen oder zum Besuch der Buchmesse.

Glücklicherweise hat sich die Perspektive in den letzten Jahren verschoben, weg von der Frage, was die Massenmedien bei den Menschen bewirken, hin zu der Fragestellung: Was machen die Menschen mit ihren Medien? Wie bewußt auch Kinder mit deren Angeboten und Versuchungen umgehen, soll jedoch ein Problem für die Medienpädagogen bleiben. Hier kann es nur um die leise Hoffnung gehen, daß Kinder- und Jugendbücher über die Welt der Massenmedien so attraktiv für die Kids der Mediengesellschaft sind, daß sie vielleicht etwas zum souveränen Umgang mit den Produkten der Kulturindustrie beitragen können. Im folgenden betrachten wir mal nicht, was es im Fernsehen gibt, statt dessen gucken wir uns Bücher an. (Vor-)Lesen müßt ihr sie dann schon selbst.

Daniel Pennac: „Wie ein Roman“. Aus dem Französischen von Uli Aumüller. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1994, 29,80 DM

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