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Belfaster Ansichten

Was vor 25 Jahren mit dem Widerstand der Katholiken gegen die soziale und politische Diskriminierung in Nordirland begann, wurde zum Bürgerkrieg. Seit September ruhen die Waffen. Die Farbschichten einer Hauswand im katholischen West-Belfast zeigen die Stationen des Konfliktes.  ■ Von Ralf Sotscheck und Derek Speirs (Fotos)

Das schwarze Taxi biegt vom Halteplatz am Rand der Belfaster Innenstadt nach Westen ab und fährt über die Autobahnbrücke. Hier beginnt die Falls Road, eine Straße, in der Nordirlands Krieg tiefe Spuren hinterlassen hat. Gleich links liegt der „Tower“, das höchste Gebäude der Divis Flats. Während die heruntergekommenen Wohnsilos vor ein paar Jahren abgerissen wurden, blieb der „Tower“ stehen: Die britische Armee hatte auf dem Dach einen Stützpunkt eingerichtet, der per Hubschrauber versorgt werden mußte, weil sich die Soldaten nicht in den Wohnblock wagten. Ein Stück weiter auf der rechten Seite prangt auf einer Giebelwand ein Gemälde in hellblau: Die Heilige Maria, im Arm das Jesuskind, dessen Gesichtszüge frappierende Ähnlichkeit mit dem Sinn-Féin- Präsidenten Gerry Adams haben.

Das Gebäude der Sinn Féin, des politischen Flügels der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), wenige hundert Meter die Straße hoch, ist ebenfalls mit einem großen Wandgemälde verziert: Ein Arbeiter, der Am Phoblacht (Die Republik) liest, die Wochenzeitung von Sinn Féin. Hinter der Kreuzung mit der Springfield Road, wo vor kurzem die „Friedenslinie“ – ein Wellblechzaun zwischen dem katholischen Viertel und der protestantischen Shankill Road – zum ersten Mal seit 20 Jahren geöffnet wurde, dominieren die Reihenhäuser aus rotem Backstein. Auf der linken Seite liegt eine ehemalige protestantische Kirche, die ihre Gemeinde aufgrund der Segregation seit Ausbruch des Konflikts verloren hat und in ein Kulturzentrum mit Café umgewandelt wurde. Hier ist auch die einzige irischsprachige Oberschule Nordirlands angesiedelt.

Direkt daneben liegt ein unebener Sandplatz. Früher stand hier ein Haus. Nachdem es abgerissen wurde, bot die Giebelwand des Hauses in der kleinen Seitenstraße eine ideale, weithin sichtbare Fläche für Malereien. Seit 15 Jahren ist es die wohl meistfotografierte Wand Belfasts. Das erste Bild, „Resistance“, vom Januar 1983, symbolisiert die damalige Doppelstrategie von Sinn Féin und IRA: mit Wahlurne und Gewehrkugel. Aus demselben Jahr stammt auch das nächste Gemälde, das eine Verbindung zwischen „Cumann na m Ban“, der Frauenorganisation der IRA, und dem Kampf der Frauen in der namibischen SWAPO und der palästinensischen PLO herstellt.

Als die britische Eliteeinheit SAS im März 1988 in Gibraltar drei unbewaffnete IRA-Leute mit Kugeln regelrecht durchsiebte, entstand über Nacht das nächste Wandbild, das stark von den Märtyrerbildern der katholischen Kirche beeinflußt ist.

Eigentlich aber ist die Wandmalerei eine protestantisch-unionistische Tradition, die bereits vor der Teilung Irlands existierte. Das erste dieser „Wall Murals“ tauchte 1908 in Belfast auf: Es zeigte eine Szene aus der Schlacht am Boyne von 1690, auch heute noch das wichtigste Datum im Kalender protestantischer Nordiren. Damals besiegte König Wilhelm III. seinen katholischen Widersacher und Schwiegersohn Jakob II. und sicherte dadurch die protestantische Thronfolge in Großbritannien. Jedes Jahr am 12. Juli wird dieses Ereignis mit Freudenfeuern und Umzügen gefeiert – und mit neuen Wandbildern von „King Billy“ auf seinem Schimmel.

Erst im Zuge der Solidarität mit dem Hungerstreik im Jahr 1981, bei dem zehn IRA-Gefangene starben, setzten sich sich Wandmalereien auch in den katholisch-nationalistischen Vierteln durch. Nach dem Abbruch des Hungerstreiks griffen die WandkünstlerInnen – darunter der ehemalige IRA-Mann Gerard Kelly, der als Mitglied der fünfköpfigen Sinn- Féin-Delegation zur Zeit an den Verhandlungen mit der britischen Regierung teilnimmt – andere Themen auf. So wurden vor Unterhaus- oder Kommunalwahlen ganze Häuserwände zu Sinn-Féin- Wahlplakaten umfunktioniert. Wichtigstes Motiv aber blieb der bewaffnete Kampf. Soldaten der britischen Armee und Polizeibeamte bewarfen die Wandgemälde nachts regelmäßig mit Farbbeuteln. Den Wandmalern machte das wenig. Schließlich sahen sie ihre Bilder als politische Statements, die an Aussagekraft eher gewannen, wenn sie von den „Sicherheitskräften“ beschädigt wurden.

Am frühen Morgen des 1. September 1994 hatten ein paar Männer die Giebelwand neben dem Kulturzentrum an der Falls Road mit dunkler Farbe grundiert. Um Mitternacht hatte der Waffenstillstand der IRA begonnen. Kaum war die Farbe trocken, da rückten ein paar Männern mit Leitern an und malten eine Pyramide aus Ziegelsteinen auf die Wand. „Bausteine des Friedens“ steht heute unter dem Bild, über der Pyramide weht die irische Trikolore. „Es gab sicher schönere Gemälde auf dieser Wand“, sagt Robin, der schräg gegenüber wohnt, „aber die Pyramide macht deutlich, was noch alles geschaffen werden muß, bevor es Frieden in Nordirland geben kann.“ Wohl wahr. Die Antwort stand nur wenige Tage später an einer Hauswand der protestantischen Shankill-Road: „Im Namen der loyalistischen Bevölkerung akzeptieren wir die bedingungslose Kapitulation der IRA.“

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