Beiß nicht gleich in jeden Apfel...

Ein 17jähriger Schülerunionist foppte die „FAZ“ mit einem schwarz-grünen Strategiepapier  ■ Von Annette Rogalla

Die erste Woche des neuen Jahres. Dünne Besetzung in den Redaktionen, dünne Nachrichtenlage, dünne Nerven. Besonders dünn dürften die von FAZ-Redakteur Wolfgang Stock gewesen sein, zuständig für die Beobachtung von Bündnis 90/Grünen. Er hob am Mittwoch ein „Strategiepapier“ ins Blatt, das eine „Koalition der Zukunft“ aus CDU und Grünen anpreist. Erstes Versuchsfeld, so heißt es darin, könnte Rheinland- Pfalz sein. „Diverse MdL (CDU) und die Junge Union sind dafür. Eine gute Ausgangsbasis.“

Das „Strategiepapier“ ging mit handschriftlichem Anschreiben auch an die Redaktionen von taz und Focus. FAZ-Redakteur Stock muß eine tiefe Seelenverwandtschaft mit dem anonym gebliebenen Verfasser verspürt haben, großflächige 212 Zeilen widmete er den aufregenden Thesen. Reingefallen.

Hinter dem Papier steckt der kluge Kopf eines Schülers vom Rhein. „Andere knacken Datenbanken mit hochgeheimem Material. Ich wollte mal testen, wie seriös die Medien berichten.“ Jochen Zenthöfer heißt er, ist 17 Jahre alt und besucht die katholische Klosterschule Nonnenwerth. Außerdem ist er Landesvorsitzender der Schülerunion in Rheinland-Pfalz.

Ausgerechnet ein Redakteur seines Leibblatts fiel auf den Quatsch herein – und das, obwohl er doch genügend Hinweise im Pamphlet versteckt hatte: Drei von den angeblich sieben Unterzeichnern existieren gar nicht. Die anderen vier Namen hat er sich aus dem Vorabdruck des Bundestagshandbuches herausgefischt. Ein Anruf bei der Fraktion von Bündnis 90/Grüne – und die Sache wäre erledigt gewesen.

„Wo hat der FAZ-Kollege nur sein Handwerk gelernt?“ Keine Häme gießt Jochen über den Redakteur, eher empfindet er Mitleid. Ein einzigartiges Gefühl sei das gewesen, als er am Mittwoch die FAZ aufschlug. „Ich habe nur die Überschrift gelesen: ,In den schwarzen Apfel beißen‘, und mir ist heiß und kalt geworden.“ Zehn Minuten habe das wohlige Schaudern angehalten, bevor er die erste Zeile habe lesen können. „Ein Gefühl, das reinhaut. Ecstasy hält viel weniger lange an. An den Rausch werde ich mich mein Leben lang erinnern.“

Auch wenn das glänzende Bild, das sich Jochen von der FAZ gemacht hat, angeschrammt ist, könnte er sich gut vorstellen, dort mal ein Volontariat zu machen. Das „Strategiepaier“ als verkappte Werbeaktion in eigener Sache?

Einmal schon saß er ja einem dieser FAZ-Redakteure gegenüber. Bei einer schulpolitischen Tagung hatte er als Schülervertreter ein Referat gehalten, das dem FAZ-Mann gut gefiel. „Na, kleiner junger Mann“, habe der gefragt, „wollen Sie nicht gelegentlich auf unserer Schulseite veröffentlichen?“ Da schwoll Jochen die Brust, seine persönlichen Erlebnisse des Schulalltags waren gefragt. Aber dann überlegte er sich die Sache nochmal. „Das erfordert doch alles soviel Aufwand.“ Jetzt ist er auch so ins Blatt gekommen und löst genau die Debatte aus, die er wollte. Wie seriös berichten die Medien?

Die FAZ hat den Fehdehandschuh nicht aufgenommen und sich statt dessen am Donnerstag mit klitzekleinen 24 Zeilen auf der Meldungsspalte hinter der richtigstellenden Presserklärung der Grünen verdrückt. Dabei hätte es doch auch anders kommen können. „Wenn ich ein Papier geschrieben hätte, daß Lummer von der CDU mit den Reps koalieren will, wer hätte dann als erster angebissen – die taz?“

Als seine Eltern ihm zwei Tageszeitungsabos schenkten, wählte er taz und FAZ. Beide faszinieren ihn „wegen der Gegensätze“. So wie CDU und Grüne. Eine schwarz-grüne Koalition hält Jochen für das beste Mittel, Politik zu machen. Nichts will er von der SPD wissen. Rudolf Scharping? „Ein rhetorisches Schlafmittel, völlig ohne Nebenwirkung.“

Im konservativen Internat gibt es natürlich auch eine Gruppe Jusos: „Die reden und reden stundenlang über die Geschäftsordnung, dann machen sie nach Wochen ein Papierchen, das sich Monate später in irgendeinem Ausschuß verliert.“ Da seien die Konservativen zügiger bei der Sache. Idee gedacht, Papier gemacht, kurzer Kampf in den Gremien. Kompromiß. Einer wie Jochen läßt sich nicht von Utopien leiten. Aber ein Herz für den Sozialstaat hat er doch: „Zwanzig Prozent Arme sind mindestens 15 Prozent zuviel und eine Gefahr für die Demokratie.“ Welchen Politiker er am meisten bewundert? Den jungen Helmut Kohl. Wie der auf dem Weg nach oben unliebsame Konkurrenten aus der Bahn geworfen habe, das sei doch schon ganz große Klasse gewesen.