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Kalter Fuß und warme Nase

■ Alles lief glatt: Bremen kam bei „extremem Glatteis“ Sonntag nacht glimpflich davon

Es war eine Eiswette der besonderen Art: Wetten, ich schaffe es zur Bushaltestelle, ohne mir die Knochen zu brechen? Viele BremerInnen verloren am Sonntag abend und Montag früh diesen Wettlauf mit den Naturgewalten. Für eine Nacht hatte das Winterwetter in seiner heimtückischsten Form ganz Norddeutschland heimgesucht. Die Autos krochen über die Straße, Bahnen blieben ebenso auf der Strecke wie ein Drittel des Premierenpublikums im ausverkauften Schauspielhaus.

Trotz allem kam Bremen noch einmal glimpflich davon: Auf den Straßen passierten trotz extremer Glatteisbildung und 100.000 Mark Sachschaden kaum schwere Unfälle. Die Unfallstation des St.-Jürgen-Krankenhauses war dennoch überfüllt: Dreimal mehr Knochenbrüche als üblich meldete die Krankenhaus-Gipserei. SchülerInnen mit verständigen Eltern hatten schulfrei: Zwar begann der Unterricht laut Ausnahmeregelung in den unteren Klassen erst um 10 Uhr, doch wen seine Eltern im Haus hielten, hat nach den Worten von Bildungs-Sprecherin Birgitt Rambalski „keine Nachteile zu befürchten“.

Schuld am Wetter war natürlich das Wetter. Und zwar eine Kombination aus „warmer Nase“ und „kaltem Fuß“, wie Meteorologin Jutta Perkuhn vom Deutschen Wetterdienst Bremen erläuterte. Aus einer kalten Luftschicht in großer Höhe fiel Niederschlag als Schnee. In einer warmen Luftschicht zwischen 1500 und 500 Metern taute dieser Schnee dann zu Regen und traf unterhalb von 500 Metern auf den „kalten Fuß“: Eine kalte Luftschicht und einen gefrorenen Boden. Der Effekt: Der Regen verwandelte sich auf der Straße augenblicklich in Eis. Der Wetterdienst, für den dieses Phänomen nichts Ungewöhnliches ist (“Im Schnitt passiert das bis zu fünfmal pro Winter“), gab eine „Unwetterwarnung“ ab. Wer Radio hörte, war also gewarnt.

Auch deshalb lief alles recht glatt. Die Polizei zählte in der Nacht 32 Verkehrsunfälle mit vier Leichtverletzten. „Das fahrende Volk hat sich im großen und ganzen umsichtig verhalten“, meinte Paul Lapsien von der Polizei. Glück für Bremen, daß das Glatteis auf einen Sonntag fiel: „Es hat ja gerade in der rush-hour angefangen. An einem Werktag hätte das bestimmt mehr gescheppert.“ Der Bund der Steuerzahler in Bremen und Niedersachsen jedenfalls riet, bei einem Unfall „auch ans Finanzamt zu denken“: Wenn es auf dem Weg zur Arbeitsstätte kracht, so der kostenlose gute Rat, können die Reperaturkosten als Werbungskosten abgesetzt werden.

Polizei und ADAC raten bei glatten Straßen vor allem dazu, die Motorbremse zu benutzen. Winterreifen nützen nichts, Spikes sind verboten und Schneeketten bei Glätte zwar wirkungsvoll, aber ein bißchen albern. Alternative: Na klar, der öffentliche Nahverkehr.

Der hatte nach Aussage von Jürgen Lemmermann, Pressesprecher der BSAG, keine großen Probleme mit dem Wetter. Busse konnten zwar ihre Fahrpläne nicht einhalten, weil sie im Stau der anderen Autos standen, doch zu Unfällen oder größeren Ausfällen sei es nicht gekommen. Das größte Problem der Straßenbahnen waren vereiste Oberleitungen: Als Eismantel blieb der Regen an ihnen hängen, die Stromabnehmer der Bahn hatten keinen Kontakt mehr zur Leitung und damit keinen Strom. Die Bahn stand. Wenn das Hin- und Herruckeln mit dem Stromabnehmer nichts half, dann mußten ebendie KollegInnen ran: „Manchmal hat dann eben eine Straßenbahn die nächste ein paar Meter geschoben, bis die wieder Kontakt hatte“, meinte Lemmermann. Rutschprobleme kennt die Straßenbahn nach seiner Meinung nicht: „Dafür sind die Wagen zu groß und schwer.“

Auch die wirklich große und schwere Bahn hatte Probleme: Auf der IC-Strecke zwischen Bremen und Hamburg brach der Verkehr am Abend ebenso zusammen wie bei Diepholz, weil die Stromleitungen vereist und beschädigt waren. Im Landkreis Northorn brachen sogar wegen der stark schwankenden Temperaturen die Schienen.

Von Brüchen berichtete auch die Unfallstation des Bremer St.Jürgen-Krankenhauses. „Am Nachmittag kamen die Schlittschuhläufer und die älteren Leute, die spazierengehen wollten, mit ihren Verletzungen“, meint Jörg Eilers, Arzt im Praktikum auf der Unfallstation. „Abends dann kamen die jüngeren Nachtschwärmer zu uns, die teilweise direkt vor ihrer Tür ausgerutscht sind. Bis um halb zwei hat sich das hier gestapelt“. Die Bilanz: viele Knochenbrüche, „überwiegend leichte Sachen“, einige schwere Fälle von Gehirnerschütterung, aber keine Stürze mit lebensgefährlichen Verletzungen. Vor allem Fußgänger und Radfahrer wurden verletzt, Autoverkehrsopfer gab es kaum.

Dennoch sollte auch weiter die Maxime der „situationsangepaßten Geschwindigkeit“ gelten. Und wenn es nur aus Eigennutz geschieht: Einer Polizeistreife fiel am frühen Sonntag Vor dem Steintor ein Wagen auf, der laut Polizeibericht „trotz Straßenglätte mit ca. 80 km/h die Straße befuhr“. Diee Beamten kontrollierten das Auto und nahmen die Insassen fest: Das Auto war gestohlen. bpo/tiS

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