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Letzte Hilfe Von Mathias Bröckers

Um den Tod kommt niemand herum, und doch steht unsere Gesellschaft dem Sterben völlig rat- und hilflos gegenüber. Der Sterbende wird von den Angehörigen einer sterilen Dienstleistungsmaschinerie überantwortet und „entsorgt“ – unpersönlich, diskret, reibungslos. Diese Art des Umgangs mit dem Tod ist nur konsequent, denn unsere Zivilisation versteht es meisterhaft, den Tod zu tabuisieren. Allenfalls an juristischen Fragen, z.B. an der „Lebenshilfe“ durch die Apparate-Medizin oder der „Sterbehilfe“ durch Zyankali, entzünden sich bisweilen Debatten, doch auch dort geht es nicht um eine Beschäftigung mit dem Tod, sondern um die Pflicht zur Verlängerung bzw. das Recht zur Verkürzung des Lebens.

„Solange nicht an jeder Ecke öffentlich gestorben wird, gibt es keinen geistigen Fortschritt“, sagte Wolfgang Neuss, der zu Hause im Sitzen starb – solange der Tod ein Unthema bleibt und eine Kunst zu sterben nicht existiert, ist jede Kunst zu leben zum Scheitern verurteilt. Der Todestrip der planetarischen Zivilisation – die maßlose Anhäufung und Verwendung tödlicher Waffen und die radikalen ökologischen Verwüstungen – rühren im Kern aus nichts anderem als aus der permanenten Verdrängung der eigenen Vergänglichkeit. In der „Tagesschau“, die eine Todesschau der Kriege und Katastrophen ist, kehrt das Verdrängte wieder, als Paradox: je weniger wir bereit sind, uns den eigenen Tod vor Augen zu halten, desto allgegenwärtiger wird er – an jeder Ecke und auf jedem TV-Kanal.

Wie stirbt man „richtig“? Kann man Sterben mitten im Leben lernen und dadurch die Angst vor dem Tod verlieren? Bezeichnen „Tod“ und „Geburt“ denselben Vorgang von der entgegengesetzten Seite, wie „Eingang“ und „Ausgang“ dieselbe Tür? Warum behaupten viele vom klinischen Tod Zurückgekehrte, daß Sterben nicht der erwartete Horror, sondern etwas wunderbar Angenehmes ist? Wo wendet man sich hin mit grundsätzlichen und praktischen Fragen des Sterbens, des Übergangs, des Tods?

Als wir in einer kleinen Runde am Wochenende diese Fragen besprachen, wurde deutlich, daß in dieser Gesellschaft als lebensrettende Maßnahme dringend so etwas wie Sterbeläden oder Todesbüros geschaffen werden sollten; Einrichtungen, in denen Informationen und Rat über das Sterben angeboten werden, jenseits von bestattungstechnischer Entsorgung, versicherungsmathematischer Rentenberechnung oder simplem Selbstmord-Consulting, jenseits von Eso-Terror und alleinseligmachenden Religionen, dogmen- und sektenübergreifend, höchst spirituell und ganz praktisch – eine Art letzte Hilfe. Sterbeberatung für mehr Lebensfreude.

Aber wer packt das Projekt an? Daß aus unserer Runde niemand einen Termin frei hatte, jetzt und sofort eine solche Initiative anzugehen, war dann am Ende mal wieder ein Riesenlacher: Wer keine Zeit für den Tod hat, lebt völlig verkehrt. Aber die Sache ist zu wichtig, um sie wieder im Sand verlaufen zu lassen. Deshalb ist diese Kolumne als Aufruf und Stellenausschreibung zu verstehen: Wem die Notwendigkeit von solchen „Letzte Hilfe“-Stationen einleuchtet, und wer an der Realisierung mitarbeiten kann, wird gebeten, uns zu schreiben (taz-Wahrheit, „Letzte Hilfe“).

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