: Warum Deutsche zum Judentum übertreten
■ Sie gehören meist „helfenden Berufen“ an und sind EigenbrötlerInnen
„Juden sind für mich ... ein ganz besonderes, immer bedrohtes Volk, das all seine Schicksalsschläge überlebt. Gibt es ein anderes Volk, das von Gott so beschützt worden wäre? In diesem Sinn wollte ich mit meiner Konversion zum auserwählten Volk gehören.“ Als die heute 43jährige Marga mit 26 Jahren nach Israel ging, hatte sie, die gläubige Christin, weder die Absicht, in Israel zu bleiben, noch die, zum Judentum überzutreten. Als gelernte Gemeindehelferin wollte sie für ein halbes Jahr im Rahmen der Aktion Sühnezeichen in einem Altenheim Sühnearbeit leisten.
Doch dann lernte Marga ihren späteren Mann kennen, einen aus Marokko eingewanderten blinden Juden und blieb in Israel. Heute lebt sie mit Mann und drei Kindern in einer Neubausiedlung am Rande von Jerusalem „zwischen orthodoxen Juden und arabischen Dörfern“. Sie gibt sowohl Palästinensern als auch Israelis Deutschunterricht und hat sich damit „zwischen die Fronten gestellt“, ohne aber im israelisch-arabischen Konflikt engagiert zu sein. Ihre Kinder schickt sie bewußt auf eine religiöse jüdische Schule, weil sie „Werte und nicht nur Wissen vermittelt bekommen“ sollen. Außerdem sollen die Kinder „in Israel dazugehören“ und nicht, wie sie selbst, „immer Außenseiter“ sein. Denn auch durch ihren Übertritt zum Judentum hat sich für Marga nichts daran geändert, daß sie sich „in diesen Konfrontationen mit Naziopfern immer als Deutsche gefühlt“ hat. Zerrissenheit, die sich auch darin ausdrückt, daß Marga sich als „Israelin und Deutsche“ bezeichnet und nicht weiß, ob sie auch Jüdin ist. Allerdings: „Christin bin ich jedenfalls nicht mehr.“
Marga ist eine von neun Frauen und fünf Männern, deren Biographien Antje Eiger in ihrem Buch „Ich bin Jüdin geworden“ nachzeichnet. Gemeinsam ist den meisten, daß sie entwurzelt, ohne engere Einbindung in eine Familie oder einen Freudeskreis und auf der Suche nach Orientierung waren, die sie in der Identifikation mit dem Judentum zumindest zeitweise fanden.
Insgesamt hat Antje Eiger 50 Interviews für dieses Buch geführt. Dabei war für sie auffallend, daß fast sämtliche ihrer GesprächspartnerInnen „einen helfenden Beruf erlernt“ haben. Die meisten beschreiben sich selbst als Einzelgänger, Sonderlinge oder Nonkonformisten. Doch ansonsten sind die KonvertitInnen, was ihre Herkunft, ihre Lebensweise in Israel oder auch ihr Alter angeht, sehr unterschiedlich. Entsprechend differieren auch Hintergründe und Motivationen für ihren Übertritt zum Judentum. Da ist zum Beispiel der 27jährige Michael, Sohn eines streng evangelischen Pastors in Süddeutschland, der sich „von Geburt auf“ als Jude fühlt. Seine Konversion stellt sich als Racheakt gegen den pietistischen und autoritären Vater dar. Sie gibt ihm zugleich die Möglichkeit, sich von den Deutschen, einem „überheblichen und intoleranten Volk“, abzugrenzen und sich über sie zu stellen. Aus seinem Judentum zieht er auch die Legitimation, nun seinerseits intolerant und rassistisch gegenüber Arabern oder Homosexuellen zu sein. Geradezu konträr sind Birgits Beweggründe. Die 40jährige Sozialpädagogin hat auf einer Israelreise ihren späteren jüdischen Mann kennengelernt, der in Berlin studierte. Gemeinsam zogen sie nach seinem Studium nach Israel, wo sie heute mit zwei Kindern in der Nähe von Tel Aviv wohnen. Vier Jahre hat Birgit als Atheistin in Israel gelebt, bevor sie ihrem Mann und den Kindern zuliebe Jüdin wurde. Den vorbereitenden Konversionskurs erlebte sie als Streß und „Gehirnwäsche“, der sie dennoch nicht „jüdischer“ gemacht hat. Obwohl sie ihre Konversion „aus pragmatischer Sicht“ im Interesse ihrer Kinder nicht bereut, hält sie den Übertritt doch für eine „Charakterschwäche“. Außerdem werde sie als Konvertitin ohnehin nicht als Jüdin anerkannt und habe damit weiterhin, wie „Nichtjuden“ generell in Israel, „einen schweren Stand“. Für sie ist das Leben in Israel im Vergleich zu Deutschland nicht einfacher und auch nicht angenehmer, zwar sieht sie die wachsende Ausländerfeindlichkeit der Deutschen, doch das sei „in Israel nicht sehr viel besser“.
Antje Eiger, die selbst konvertierte Jüdin ist, erklärt im Vorwort, daß sie mit ihrem Buch einen „Eindruck von der Begegnung und Auseinandersetzung zweier Religionen, Nationalitäten, geschichten und Kulturen“ vermitteln wollte. Das ist ihr gelungen. Gitti Hentschel
Antje Eiger: „Ich bin Jüdin geworden“. Rotbuch Hamburg 1994, 176 Seiten, 28 DM
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