■ Eine Entgegnung auf den Leserbrief zum Silvesterkrawall
: Grenze überschritten

Die TäterInnen haben sich gemeldet. Der Brief, der am Montag in der taz erschienen ist, scheint tatsächlich von denen zu kommen, die die Silvesterkrawalle inszeniert haben. Auf anderthalb Seiten ergießen die AutorInnen dieselbe Melange aus radikalen Phrasen und Größenwahn, die wir schon kennen: Yuppisierung des Viertels und strukturelle Gewalt – das alte Ritual. Und doch ist etwas anders. Eine Grenze ist überschritten, die in dieser Stadt über Jahrzehnte gegolten hat: Terror und körperliche Gewalt gegen Einzelne werden politisch gerechtfertig.

„Die politische Auseinandersetzung hat Schaden genommen“, bedauern die AutorInnen. Bei ihrem Scherbengericht habe es auch ein paar kleine Läden getroffen, die nicht gemeint gewesen seien. Soll heißen: Es gab für die Nacht eine verabredete Liste von Angriffsobjekten, nur ein paar Durchgeknallte sind aus der Reihe getanzt. „Die Aktionen, die in diesem Sinne wohldurchdacht und politisch vertretbar waren, wie die Scheiben bei... müssen da untergehen. So verrauchen auch der Angriff gegen Robert Bücking und die Verteidigung gegen die Polizei.“

Nun kann man spekulieren, ob der körperliche Angriff gegen den Ortsamtsleiter tatsächlich geplant war oder nur im Nachhinein dazu erklärt werden soll. Doch diese Rechtfertigung alleine reicht schon aus: Eine durch nichts und niemanden legitimierte Gruppe erklärt ein paar Menschen zum privaten Freiwild. Wenn es gerade zu passen scheint, dann dürfen kleine Geschäftsleute runiert, einem Ortsamtsleiter darf eine Flasche über den Schädel gezogen, ein Schlachter mit dem Tod bedroht werden.

Immer wieder dieselben totalitären Muster: Ein kleiner Zirkel bewegt sich offensichtlich nur unter seinesgleichen, entsprechend hermetisch ist die Begründung für das vorgeblich revolutionäre Handeln. Außerhalb der sich selbst bestätigenden Kreise ist Feindesland, Schweinestaat, „Ökobourgeoisie“, „klassenleugnendes Gefeiere“. Mit der autonomen Rundumbegründung läßt sich jeder Terror rechtfertigen – zumindest vor den eigenen Augen, und das scheint völlig auszureichen.

Das weckt Assoziationen an die grausamsten politischen Verbrechen. Ein schlimmer Rückfall in politische Barbarei, eine Form der Auseinandersetzung, die in den vergangenen Jahren von Rechts kam.

„Gezielt, klar und deutlich“ solle die Militanz sein – „auf ein besseres 95/96“. Dazu muß die Stadt eine deutliche Trennungslinie ziehen. Jochen Grabler