Plötzliche Hast bei Reformen in der Türkei

■ Parteienkompromiß zur Verfassungsreform erzielt – ändern wird sich wenig

Istanbul (taz) – Die türkische Verfassung – eine Hinterlassenschaft des Militärputsches von 1980 – soll geändert werden. Unter Vorsitz des türkischen Parlamentspräsidenten Hüsamettin Cindoruk einigten sich die Vertreter der beiden Koalitionsparteien DYP (Partei des rechten Weges) und SHP (Sozialdemokratische Volkspartei) und die stärkste Oppositionspartei ANAP (Mutterlandspartei) auf einen Kompromiß. Insgesamt 20 Artikel werden demnach gestrichen oder neu formuliert. Die drei Parteien verfügen über die notwendige Zweidrittelmehrheit, um die Verfassung zu ändern. Die türkischen Parteiführer würdigten übereinstimmend die angestrebte Verfassungsreform als einen Schritt hin zu einer demokratischen, zivilen Verfassung.

Es ist eine Verfassung der Verbote, die da 1982 durch eine scheindemokratische Volksabstimmung unter der Militärdiktatur von 92 Prozent der Wähler angenommen wurde. Bereits der erste Satz beginnt mit einer Laudatio auf die Putschisten: „Die Operation vom 12. September 1980, die auf den Ruf des Volkes von den türkischen Streitkräften, die ein untrennbarer Teil des türkischen Volkes sind, durchgeführt wurde.“ Dies ist einer der anachronistisch gewordenen Sätze, die gestrichen werden sollen.

Das politische Betätigungsverbot für Vereine und Gewerkschaften, das die gültige Verfassung vorschreibt, soll aufgehoben werden. Auch das Verbot für politische Parteien, Jugend- und Frauenverbände zu gründen und sich im Ausland zu betätigen, soll aufgehoben werden.

Unmittelbare praktische Demokratisierungsprozesse sind aus der Änderung der Verfassung allerdings nicht zu erwarten. So ist kaum anzunehmen, daß das politische Strafrecht verändert wird, das ein gewaltiges Repressionsinstrumentarium bietet. Vor einem Monat erst verhinderte Çillers „Partei des rechten Weges“, daß das „Gesetz zur Terrorismusbekämpfung“ reformiert wird, aufgrund dessen über hundert Personen – Journalisten, Hochschullehrer und Gewerkschafter im Gefängnis einsitzen.

So scheint denn auch die Verfassungsänderung vor allem den Sinn zu haben, das angekratzte Image des Landes wieder aufzupolieren. Angesichts andauernder Verletzungen der Menschenrechte und nach der Verurteilung kurdischer Abgeordneter zu hohen Haftstrafen ist die Türkei unter massiven außenpolitischen Druck geraten. Schon bei den Wahlen 1991 war die Verfassungsreform ein Wahlkampfthema gewesen – in den drei Jahren seitdem war nichts geschehen. Jetzt soll die Reform bis zum März durchgebracht werden, bis zu dem Datum also, wo erneut über den Beitritt der Türkei zur europäischen Zollunion entschieden werden soll.

Allein die islamistische „Wohlfahrtspartei“ Refah schließt sich nicht dem Allparteienkompromiß für die Verfassungsreform an, obwohl in vielen Punkten Übereinstimmung über Streichung undemokratischer Verbotsvorschriften herrscht. Grund dafür ist, daß der Artikel 24 über Religions- und Gewissensfreiheit nicht in die Reform einbezogen wurde. Niemand darf – so heißt es in einer Verbotsvorschrift des Artikel 24 – die „soziale, wirtschaftliche, politische oder rechtliche Ordnung des Staates auf religiöse Regeln stützen oder Religion oder religiöse Gefühle mißbrauchen“. Ömer Erzeren