: Das Sammelbecken ist zu klein
Österreichs Rechtspopulist Jörg Haider will seine FPÖ beerdigen und ein großes „Bündnis '98“ gründen / Das Ziel: Die Machtergreifung 1998 ■ Von Robert Misik
Berlin (taz) – Unlängst, berichtet uns die Literaturkritikerin Sigrid Löffler im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, habe sie im US- Magazin Time geblättert. Da gab's eine Hitliste der „Global Hundred“, die die Welt im nächsten Jahrtausend prägen würden. Einer fehlte: Jörg Haider, Chef der „Freiheitlichen Partei Österreichs“.
Der Dame wollt's nicht in den Kopf. Hat Haider seine einst altbackene FPÖ nicht längst zur erfolgreichsten rechtspopulistischen Kraft Europas gemacht – sieht man von Silvio Berlusconis „Forza Italia“ ab, die freilich ihren Triumph der nicht alltäglichen Voraussetzung des Kollabierens eines politischen Systems dankt? Immerhin hatte Haider bei den vergangenen Nationalratswahlen mehr als 22 Prozent der Stimmen erreicht und war damit der bürgerlichen Traditionskraft „Österreichische Volkspartei“ gefährlich nahe gekommen. Erstmals erscheint nun ein Kanzler Haider im Jahr 1998 durchaus realistisch.
Jetzt entledigt sich der Gladiator des Vehikels seines Erfolgs. Denn bei ihrem außerordentlichen Bundesparteitag am Samstag wird die FPÖ aufgelöst. An ihre Stelle tritt ein wenig strukturiertes Gebilde: Die „Freiheitliche Bewegung – Bündnis Bürger '98“, für Haider eine Sammlungsbewegung, die „für alle Bürger offen ist, die mit uns kurzfristig ein Bündnis eingehen wollen“. Ziel: „1998 eine nichtsozialistische Regierung“ in Österreich zu etablieren.
Haider und die FPÖ: Das war seit der Machtübernahme des jungenhaften Populisten beim legendären Innsbrucker Parteitag 1986 ein durchaus ambivalentes Verhältnis. Einst war die FPÖ als Sammelbecken der zertrümmerten Reste des traditionellen deutschnationalen Lagers gegründet worden. Doch als Haider – mit Hilfe dieses Unterbaus – die Parteiführung stürzte, war er ebenso darauf bedacht, in keinerlei Abhängigkeit zu dieser altbackenen Parteibasis zu geraten. Langgediente FPÖ-Recken wurden ausgeschaltet, an ihre Stelle traten die Haider-Yuppies, im Österreich-Jargon: „Die Buberlpartie.“ Wichtiger noch als der rechts-ideologische Ballast war diesem Milieu der erfolgsträchtigste mediale Transport.
Jetzt scheint Jörg Haider die Zeit reif, die alte Partei endgültig zu zerschlagen. Anstelle des Parteivorstandes wird von nun an der „Klub der freiheitlichen Mandatare“ – vor allem die Parlamentsfraktion – den Kurs der Haider- Partei bestimmen. Die operative Führung soll gar eine Werbeagentur übernehmen, an deren Spitze der Vormann seine engsten Mitstreiter gehievt hat. Kein Wunder, daß stramme Rechte skeptisch werden. Die Junge Freiheit, das deutsche Kampfblättchen der konservativen Revolution, fürchtet „eine größere inhaltliche Beliebigkeit“. In dieses Bild paßt auch die Tatsache, daß Haider seinen bisherigen „Grundsatzreferenten“, den Deutschnationalen Andreas Mölzer, entmachtet hat.
Zwei Bedingungen muß Haider noch erfüllen, um 1998 Kanzler zu werden. Erstens: Die Volkspartei überholen. Zweitens: Zumindest einem Teil der konservativ-katholisch-bäuerlichen ÖVP-Führung koalitionsfähig erscheinen. Sein großer Trumpf dabei ist die Unfähigkeit der Regierung.
Schockiert vom Wahldebakel des Oktobers, gelang es der von Sozialdemokraten und Volkspartei geführten Großen Koalition nicht einmal in Ansätzen, wieder Tritt zu fassen. Wenig durchdachte Maßnahmen, sozial unausgewogene Einschnitte verstimmten die Bevölkerung, das Patronage- System wird ungeniert weiterbetrieben. Somit verwundert es kaum, daß jüngste Umfragen Haider bereits vor der ÖVP sehen. In den letzten Wochen trifft Haider die mächtigen Landesfürsten der ÖVP immer häufiger zum amikalen Plausch.
Haider, als politisches Chamäleon hochtalentiert, könnte so für eine Überraschung gut sein. Sein Credo: „Viele Wähler sagen uns jetzt: Die Oppositionszeit ist vorbei, jetzt erwarten wir, daß ihr euch konstruktiv verhaltet. Und das werden wir auch tun.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen