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StudentInnen fühlen sich verhöhnt

Vor StudentInnen der Justus-Liebig-Universität in Gießen wollte sich die Bevölkerungswissenschaftlerin Charlotte Höhn rehabilitieren – was gründlich danebenging  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Gießen (taz) – Seit Donnerstag wissen wir endlich, warum sich die umstrittene Bevölkerungswissenschaftlerin Charlotte Höhn in einem von der taz im September 1994 in Auszügen veröffentlichten Interview mit der Historikerin Susanne Heim zu „ungeschickten Äußerungen“ (Höhn) hat hinreißen lassen: „Zur Verteidigung der Freiheit der Wissenschaft.“ Nur deshalb – und weil sie von Heim mit einer Attacke auf den von ihr verehrten Bevölkerungstheoretiker Gerhard Mackenroth „gereizt“ worden sei – habe sie gesagt, „daß es Nachweise dafür gibt, daß es unterschiedliche Intelligenzen gibt“.

Mit diesem Statement vor überwiegend studentischem Publikum im großen Saal der alten Universitätsbibliothek in Gießen wollte sich Höhn, die am Fachbereich 19 verschiedentlich Lehraufträge übernommen hatte und für eine Honorarprofessur vorgeschlagen war, gleich zu Beginn der von der Studentenschaft initiierten Diskussionsveranstaltung aus der Affäre ziehen.

Doch Höhn hatte offenbar die Intelligenz der StudentInnen unterschätzt. Der Allgemeine StudentInnenausschuß (Asta) hatte vehement gefordert, der Professorin im Sommersemester keinen neuen Lehrauftrag zu erteilen. Und einige der gut 200 HochschülerInnen und auch HochschullehrerInnen wußten genau zu berichten, was Höhn im Gespräch mit Heim tatsächlich gesagt hatte: Daß sie „Denkverbote“ bedauere, zum Beispiel, daß man heute nicht mehr sagen dürfe, „daß die durchschnittliche Intelligenz der Afrikaner niedriger ist als die anderer“. Daß dies „wissenschaftlich zu beweisen“ sei, so Höhn in ihrer Gegenrede auf die Vorhaltungen der StudentInnen, habe sie nie gesagt, sondern nur, daß es „leider statistisch nachweisbar“ sei. Ob denn, wollte ein Student aus Schwarzafrika von Höhn wissen, die Statistik keine Wissenschaft sei? „Nein, nur eine Hilfswissenschaft.“

Der Zynismus, mit dem Höhn auf die mit großem Ernst vorgetragenen Sorgen gerade der StudentInnen aus Afrika und der Behinderten reagierte, und der eher nachlässige Umgang der nach eigenen Angaben inzwischen „beamtenrechtlich voll rehabilitierten“ Bevölkerungswissenschaftlerin mit der historischen Wahrheit sorgten für Ernüchterung auch bei den StudentInnen, die sie als Wissenschaftlerin „verehrt“ hatten.

Schon in ihrem Eingangsstatement hatte sich Höhn als „Opfer einer sehr gut eingefädelten Kampagne“ der taz und anderer Medien dargestellt: Wer sich in Deutschland mit Bevökerungsstatistik beschäftige, so Höhn an die Adresse der „kritischen Ecke“, müsse doch ein „latenter Nazi“ sein. Ihr Hinweis auf die „statistisch nachweisbaren“ unterschiedlichen Intelligenzen, der nur ein „Beispiel für ein Denkverbot“ sein sollte, sei offenbar ein „Tabubruch“ gewesen, den diese „kritische Ecke“ nicht habe hinnehmen können. Höhn: „Danach wurde die Woge losgetreten.“ Ob denn ihre Äußerung, daß sich kranke Menschen besser nicht „vermehren“ sollten, auch ein solcher „Tabubruch“ gewesen sei, wollte ein Behinderter danach von Höhn wissen. Jeder Mensch habe das Recht auf Nachwuchs, sagte Höhn: „Aber wenn man weiß, daß man krank ist, ist es ein Nachdenken wert, ob eine Schwangerschaft eine gute Sache ist – oder eher nicht.“ Das zu Ende gedacht, so ein anderer Behinderter empört, sei der „Weg in die Vergasung“.

Den Vorwurf, daß man in Zeiten, in denen Schwarze und Behinderte diskriminiert und verfolgt würden, nicht mit interpretierbaren Äußerungen die Geschäfte der Rassisten und Eugeniker betreiben dürfe, wies dann Höhn, die behauptete, von den weltweit mit Empörung aufgenommenen Euthanasie-Theorien des australischen Wissenschaftlers Peter Singer noch nie etwas gehört zu haben, empört zurück. Sie sei nie davon ausgegangen, daß ihre Äußerungen in diesem Gespräch mit Heim in einer Zeitung veröffentlicht würden. Höhn: „Es ist ein Unterschied, ob ich das in einem Interview oder in einem Gespräch unter Wissenschaftlerinnen gesagt habe.“ Da hatte es sich Höhn mit dem Gießener Auditorium dann endgültig verdorben. Unter dem Beifall der StudentInnen zog ein in der Ausländerarbeit engagierter Bürger das für Höhn vernichtende Fazit: „Unter vier Augen sagen Sie offenbar, was sie denken. Nur zu den unliebsamen Folgen wollen Sie dann nicht stehen.“

Am Ende – in die Enge getrieben – kam dann doch noch so etwas wie eine Entschuldigung über ihre Lippen: „Mir tut das außerordentlich leid, wenn ich mit meinen unbedachten Äußerungen Menschen in Bedrängnis gebracht oder verletzt habe.“ Sie habe „die Sache“ damals nicht sofort klarstellen können, weil sie als Beamtin von ihrem Dienstherren verpflichtet worden sei, zu schweigen. Und heute habe man ihr gleichfalls geraten, lieber den Mund zu halten, denn: „Wenn Sie ein unvorsichtiges Wort sagen, sind Sie wieder dran.“

Da hatten einige schon genug gehört und waren gegangen. Ein Student sagte am Ausgang enttäuscht: „Die Höhn, die hat doch überhaupt nicht kapiert, um was es hier eigentlich geht, nämlich um die Menschenwürde und um das, was Wissenschaftler dürfen – und was nicht. Wie kann man nur so dumm und ignorant sein?“

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