■ Diese Woche tagten in Rom die Vertreter der demokratischen und islamischen Opposition Algeriens. Gestern stellten sie eine "Plattform" vor, die einen demokratischen Machtwechsel in Algerien ermöglichen...: Aber zwei Fragen sind noch offen
Aber zwei Fragen sind noch offen
Nur ein Polizeiwagen und die Herren mit der verdächtig geschwellten Brust deuteten darauf hin, daß im kleinen Kloster in der Römer Altstadt gestern Geschichte gemacht wurde. Im Refektorium, wo bis vor 25 Jahren noch die Karmeliterinnen tafelten, stellte die algerische Opposition der Öffentlichkeit eine gemeinsame Plattform vor. Ihr Anliegen ist es, dem Land eine Alternative zum Bürgerkrieg zu eröffnen, der in drei Jahren 40.000 Menschenleben kostete. Seit Sonntag hatten die Männer und eine Frau an einem geheimgehaltenen Ort getagt. Am Freitag nachmittag schließlich wurde im alten Gemäuer des Klosters Sant' Egidio die Katze aus dem Sack gelassen.
Es traten auf: Hocine Ait Ahmed, Chef der sozialdemokratisch orientierten FFS, Mitgründer der algerischen Befreiungsfront, nach deren Sieg über die französische Kolonialmacht vom neuen Regime zum Tod verurteilt, 1989 aus dem Exil nach Algerien zurückgekehrt und seit 1992 wiederum im Exil; Ben Bella, Chef der „Bewegung für Demokratie in Algerien“ (MDA) und erster Präsident des unabhängigen Algerien, 1965 von der Macht geputscht, bis 1979 im Gefängnis, dann bis 1990 im Exil; Abdelhamid Meri, Chef der FLN, die 30 Jahre lang Algerien allein regierte; Luisa Hanoun, Chefin der trotzkistischen „Arbeiterpartei“ (PT), eine in den Arbeitervierteln Algiers überaus populäre Politikerin; Abdallah Djaballah, Chef der moderaten islamischen Partei „Nahda“; Ahmed Ben Mohamed, Chef der ebenfalls gemäßigten Partei „Zeitgenössisches Islamisches Algerien“ (AIC).
Nur die stärkste Partei der Opposition war nicht durch ihren Präsidenten vertreten. Abassi Madani, Chef der verbotenen „Islamischen Heilsfront“ (FIS), steht unter Hausarrest. So hatte sie Anwar Haddam nach Rom geschickt. Dabei war auch der Rechtsanwalt Abdenour Ali Yahia, Präsident der „Algerischen Liga zur Verteidigung der Menschenrechte“ (LADDH), der Madani und weitere FIS-Führer vor Gericht verteidigte, aber vermutlich eher der FFS nahesteht. Seine relativ unabhängige Stellung prädestinierte ihn zum Sprecher der in Rom versammelten algerischen Opposition.
Vor der Presse stellte Ali Yahia die „Plattform für eine politische und friedliche Lösung der algerischen Krise“ vor. Das sensationelle Dokument, auf das sich die Parteien der demokratischen und der islamischen Opposition einigten, die bei den letzten Wahlen vom Dezember 1991 zusammen über 90 Prozent der Stimmen erhalten hatten, ist zwar ein Kompromiß, aber trotzdem recht konkret. Als erstes verpflichten sich sämtliche Parteien, den Artikel 1 der Unabhängigkeitsdeklaration vom 1. November 1954 zu respektieren, der die „Wiederherstellung des demokratischen und sozialen souveränen algerischen Staates im Rahmen der Prinzipien des Islam“ forderte. Zudem versprechen alle Parteien, darauf zu verzichten, „mit Gewalt an die Macht zu kommen oder mit Gewalt diese zu halten“. Ein Mehrparteiensystem wird garantiert.
Alles Sätze, mit dem vor allem die FIS auf die Distanzierung von radikalen islamistischen Gruppen festgenagelt werden soll. Als Elemente für die algerische Identität werden explizit der Islam, das Arabertum und die kabylische Kultur angeführt. Letzteres eine Konzession an die FFS von Ait Ahmed, die vor allem bei den Berbern der Kabylei eine starke Basis hat.
Die Plattform sieht zwei Etappen vor. In einem ersten Zeitraum sollen alle politischen Gefangenen frei kommen. Den FIS-Führern soll ermöglicht werden, „mit all jenen frei zusammenzukommen, deren Partizipation sie für die Entscheidungsfindung für notwendig erachten“. Im Klartext: es soll ihnen ermöglicht werden, mit den radikalen islamistischen Gruppen in Kontakt zu treten, um sie für einen Waffenstillstand zu gewinnen. In einer zweiten Etappe soll dann aus Vertretern der jetzigen Machthaber und der Opposition eine „nationale Konferenz“ einberufen werden, die für eine „möglichst kurze Übergangsperiode“ Gesetze und Maßnahmen erlassen soll, die es schließlich erlauben, freie Wahlen abzuhalten.
Zwei große Fragezeichen stellen sich nun nach dem Treffen in Rom. Wird es der FIS gelingen, die islamistischen Terrorgruppen an die Kandare zu nehmen? Und werden die Militärs, die den Islamisten an Terror kaum nachstehen, auf den Dialog eingehen? Die FIS weiß, daß die übergroße Mehrheit der Algerier nichts mehr herbeisehnt als die Rückkehr zu einem normalen Leben. Die Militärs haben dem Land keine Perspektive zu bieten, ihr Versuch, den gesellschaftlichen Konflikt militärisch zu lösen, ist gescheitert, und seit gestern sind sie isolierter denn je. Noch ist es für Hoffnung zu früh. Aber einen anderen Weg zur Lösung der algerischen Krise, als den, für den nun in Rom die Weichen gestellt wurden, scheint es nicht mehr zu geben.
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