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Von Nutella und Schuhwichse

■ Schlagabtausch in der Urania über die Verantwortung der SPD an der Ermordung von Luxemburg und Liebknecht / SPD-Vertreter Fichter als Prügelknabe

Was wäre, wenn beweisbar wäre, daß die SPD-Führung in die Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verwickelt war? hatten die Veranstalter gefragt und am Samstag abend in die „Urania“ geladen. Mehrere hundert Menschen kamen, doch die Frage wurde nicht beantwortet. Für die allermeisten war es auch keine Frage mehr; das Publikum hatte seine Gewißheiten mitgebracht, Schlagabtausch war angesagt.

Über die Schablonen des in der Linken Bekannten über die Ermordung von Luxemburg und Liebknecht kamen im Großen Saal der Urania deswegen weder das Podium noch die ZuhörerInnen hinaus. Eindringlich wie eine Anklageschrift legte zu Beginn der Soziologe Klaus Gietinger das Netzwerk der Zusammenarbeit von Minister Gustav Noske und den Mördern der zwei Revolutionäre am 15. Januar 1919 offen und gab damit den Kammerton vor.

Den von Gietinger ans Licht geförderten Beweisen über die Mitbeteiligung von Noske mußte der SPD-Vertreter Tilman Fichter hilflos gegenüberstehen. Auf dem Podium, darunter Konkret-Chef Gremliza und die Herausgeberin der Luxemburg-Briefe, Annelies Laschitza, war Fichter deswegen von vornherein die Rolle des Prügelknaben zugemessen.

Dem durchweg ablehnend eingestellten Auditorium bot Fichter freilich genug zusätzlichen Anlaß zum Unmut, etwa als er die Zuhörerinnen beschwor, doch nicht zu glauben, daß Geschichte aus solchen „Räuberpistolen“ bestehe. Sein Eingeständnis, daß die Niederschlagung der Revolution von 1919 ein großer Fehler der SPD war, ging deshalb ebenso unter wie sein richtiger Hinweis, daß die SPD die Revolution allein deswegen nicht verraten haben konnte, weil sie diese überhaupt nicht wollte. Warum die handelnden Personen der SPD so vollständig und erbärmlich versagten, der Weimarer Republik schon zur Geburt den Todesstoß versetzten und die bis heute nachwirkende katastrophale Spaltung der Arbeiterbewegung begründeten, dorthin gelangte die Debatte nicht.

Materialien für die historische Kontinuität der SPD steuerte dafür Gremliza bei, der als damaliger Spiegel-Redakteur 1967 das Eingeständnis Helmut Schmidts belauscht haben will, für ihn sei „Bluthund“ Gustav Noske der Sozialdemokrat, den er am meisten bewundere. Deswegen solle die SPD nicht so tun, als ob sie irgend etwas mit dem demokratischen Sozialismus zu tun hätte. Als Kunde auf dem Markt der Politik müsse man verlangen können, daß in einer Dose, wo „Nutella“ draufstehe, auch „Nutella“ drin sein und nicht „Schuhwichse“. Warum Gremliza erst Anfang 1990 aus der SPD austrat, erläuterte er nicht. Im übrigen verlangte Gremliza, die SPD solle wenigstens ehrlich sein und jetzt nicht Krokodilstränen über die Ermordung von Luxemburg vergießen.

Besonders übel wurde Fichter angerechnet, daß er akribisch aufzählte, wo sich Luxemburg entschieden der späteren Stalinisierung der KPD verweigert hätte. „Erst ermorden und dann für die Sozialdemokraten reklamieren“, hielten ihm Zuhörer vor.

Andere erinnerten an Tilman Fichters Rolle als Exponent der nationalen Debatte: damals das gemeinsame Mordkomplott von Freikorps-Hauptmann Pabst und SPD-Minister Noske, heute der Diskurs mit der neuen Rechten von Rainer Zitelmann bis zu Junge Freiheit-Autoren. Gerd Nowakowski

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